WAZ: Berlin lässt Washington abblitzen
Archivmeldung vom 02.02.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs scheint, als habe die Bundesregierung geradezu auf eine passende Gelegenheit gewartet, den USA aus deutscher Sicht die Grenzen beim Einsatz in Afghanistan aufzuzeigen. Ansonsten lässt es sich kaum erklären, warum die Regierung derart empfindlich auf eine amerikanische Anfrage reagierte, die zeitgleich alle 25 Nato-Verbündeten erreicht hatte.
Während etwa in Paris von einem "sehr höflichen" Brief die Rede war, ließ Berlin die Amerikaner kurzerhand und recht unhöflich abblitzen.
Des Beifalls nicht nur aus den eigenen Reihen, sondern auch von
Seiten der rot-gelb-grünen Opposition konnte sich die Bundesregierung
nach ihrem Basta sicher sein. Eine Absage an Washington ist populär,
weil sie scheinbar Souveränität beweist und Selbstvertrauen
demonstriert. Das prompte Nein erinnert allerdings auch an die
Schwächen des deutschen Einsatzes am Hindukusch, denn es illustriert,
wie groß die deutsche Sorge ist, noch tiefer in einen Konflikt
hineingezogen zu werden, der sich womöglich letztlich nicht
beherrschen lässt.
Immerhin stellt Deutschland mit derzeit etwa 3200 Soldaten das
drittstärkste Kontingent in Afghanistan. Auch sieben Jahre nach dem
Beginn des Einsatzes ist die Region weit entfernt von stabilen
Verhältnissen. Tödliche Anschläge sind Alltag, die Taliban längst
nicht besiegt. Deutschland muss also zu seiner Verantwortung in der
Krisenregion stehen. Schon allein eigene sicherheitspolitische Motive
sprechen dafür. Die afghanische Bevölkerung beim Aufbau von Polizei,
Justiz und Armee zu unterstützen, muss dabei eine entscheidende Rolle
spielen, denn eine rein militärische Lösung des Afghanistan-Konflikts
gibt es nicht.
Im Übrigen wäre es politisch nicht zu vermitteln, deutsche
Soldaten Gefahren auszusetzen, die Folge einer verfehlten
amerikanischen Militärstrategie sind. Die Bundeswehr befindet sich
ohnehin an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Deshalb ist es richtig,
dass die Bundesregierung die Entsendung deutscher Soldaten in den
Süden ablehnt. Doch die Absage an Washington sollte nicht von den
Problemen ablenken, vor denen die internationale Gemeinschaft in
Afghanistan steht. Viel zu defensiv hat auch die Bundesregierung
diskutiert, welche Strategie und welchen Zeitplan sie in Afghanistan
verfolgt. Die Staatengemeinschaft muss mittel- bis langfristig
erreichen, dass ihre Soldaten nicht mehr am Hindukusch gebraucht
werden. Um an dieses Ziel zu gelangen, ist eine schonungslose Analyse
der aktuellen Lage notwendig. Vor einer unangenehmen Bestandsaufnahme
sträubt sich aber nicht zuletzt die deutsche Regierung.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Ulf Meinke)