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Neue Westfälische (Bielefeld): Rio ist überall

Archivmeldung vom 22.06.2013

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 22.06.2013 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Rio de Janeiro, Sao Paulo, Istanbul, Kairo, Tunis - auch wenn Demonstrationen und Umstürze nicht unbedingt zu vergleichen sind, fällt doch auf, dass deren Gründe sich seit einigen Jahren weltweit zunehmend ähneln. Es sind nicht mehr die Umsturzversuche aus Macht- oder wie in der Geschichte oft geschehen aus sozialen Gründen (Hungeraufstände). In allen genannten Ländern und Städten sind es nicht die unteren Schichten, nicht die Ärmsten, die sich erheben.

In Kairo fegte eine gut ausgebildete, der Mittelschicht angehörende Gruppe den Diktator Mubarak hinfort. In Tunis waren es mit den neuen Medien gut vernetzte junge Leute, Künstler und Intellektuelle, die genug zum Leben haben, denen aber die Aufstiegs-Perspektive fehlte, die Freiheit wollten. In Istanbul geht es nicht um soziale Fragen, sondern um gesellschaftliche-demokratische Freiheiten. Und aktuell in Brasilien steht längst nicht mehr die flugs zurückgenommene Fahrpreiserhöhung des Nahverkehrs auf dem Programm, sondern gesellschaftliche Teilhabe, Gerechtigkeit für die Mittelschicht, Investitionen in Bildung und Infrastruktur, die erschreckende Korruption der herrschenden Elite. Die Bewohner der Favelas haben bislang nichts mit den Protesten zu tun. Und wie reagiert in allen Fällen der Staat, egal ob er diktatorisch ist wie im Falle Ägyptens oder sich demokratisch nennt wie in Brasilien und der Türkei? Mit Gewalt. Was in Kairo nicht verwundert, ist einer Demokratie wie in Brasilia und Ankara unwürdig. Doch halt. Ein vorschnelles Urteil verbietet sich. Wie ist denn die Polizei vor drei Wochen in Frankfurt gegen die Bloccupy-Proteste vorgegangen? Vernünftige, aufgeklärte, gut situierte Menschen - wenn man so will die Mittelschicht - wollte gegen die Macht, die Skrupellosigkeit, die Geldversessenheit der Banken demonstrieren - und wurden prompt von der deutschen Polizei eingekesselt, ihres grundgesetzlich verbrieften Demonstrationsrechtes und ihrer Freiheit beraubt. Auch in Madrid und New York sind vor Jahresfrist die Occupy-Protestcamps mit Gewalt geräumt worden. Die Mittel sind nur teilweise andere als in Istanbul und das Ziel ist gleich: Hauptsache Ruhe. Auch in Demokratien. Dabei muss eine Demokratie, statt Demonstrationen zu verhindern, dafür sorgen, dass die Ressourcen gerecht verteilt werden, dass Teilhabe und Perspektive für alle möglich ist. Sie muss ihre Mittelschicht ernst nehmen und pflegen, damit die stark genug bleibt, für die ganz Schwachen zu sorgen. Da sind auch in Europa und Deutschland Defizite erkennbar: Zu hohe Belastungen, schwieriger werdende Perspektiven, mangelnde Unterstützung, Konzentration auf Gewinnmaximierung für die Starken. Wenn Infrastruktur, Bildungseinrichtungen, Unterstützung verlottern, wenn nicht genug Förderung für Kinder angeboten wird, verschwinden gut ausgebildete und fleißige Jugendliche in der Arbeitslosigkeit. Dann wird sich auch Westeuropa auf mehr Demonstrationen einstellen müssen. Rio kann überall sein.

Quelle: Neue Westfälische (Bielefeld) (ots)

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