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Michail Gorbatschow: Neuanfang nötig, Vertrauen in der Welt zerstört

Archivmeldung vom 11.01.2021

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.01.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Anja Schmitt
Michail Sergejewitsch Gorbatschow Bild: Veni / wikipedia.org
Michail Sergejewitsch Gorbatschow Bild: Veni / wikipedia.org

Das Jahr 2020 war eine Herausforderung für die ganze Welt wegen der Covid-19-Pandemie. Der ehemalige Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, sprach in einem Interview mit RIA Novosti über den Einfluss der Pandemie auf seinen Alltag, die Zukunft der internationalen Beziehungen und die Erwartungen an den neuen US-Präsidenten, Joe Biden. Dies schreibt das russische online Magazin „SNA News“ .

Weiter ist auf deren deutschen Webseite dazu folgendes zu lesen: "- Herr Gorbatschow, wie hat die Pandemie, mit der die Menschheit im vergangenen Jahr konfrontiert war und immer noch ist, ihr Leben beeinflusst? Mussten Sie ihre Aktivitäten einschränken? Lernten Sie den Umgang mit neuen Kommunikationsformen: Video-Schalten und Zoom-Konferenzen? Hat sich Covid-19 auf die Kommunikation mit Ihren Angehörigen ausgewirkt?

Natürlich hat die Pandemie sehr vieles verändert, sich auf vieles ausgewirkt. Sie sehen ja, dass buchstäblich alle ihre Aktivitäten einschränken mussten. Ich bin in solch einem Alter, in dem man die Quarantäne besonders streng einhalten muss. Das sind keine Empfehlungen, sondern Forderungen. Im Sommer konnte man sich noch mit jemandem treffen, jetzt nicht mehr.

Was die Kommunikationsmittel betrifft, nutze ich das bewährteste Mittel – das Telefon, auch für Gespräche mit der Familie, Angehörigen. Ich gab einige Interviews per Telefon, ihre Agentur hat sie übernommen, das ist gut. Ich fertigte einige Audiobotschaften an – anlässlich des 30. Jahrestags der Wiedervereinigung Deutschlands, für die Ronald-Reagan-Bibliothek und noch andere. Mit den Mitarbeitern der Stiftung bin ich im ständigen Kontakt. Ich bekomme Materialien und reagiere darauf. Wir haben einen Bericht über die Folgen der Pandemie veröffentlicht und führen Videokonferenzen durch. Jetzt bereite ich einen großen Artikel vor. Also ich arbeite.

- Wie veränderte 2020 die internationalen Beziehungen, was ist zu erwarten für die Weltgemeinschaft, wie ist Ihre Prognose? Werden die Staaten unter diesen Bedingungen die Kontakte reduzieren oder ausbauen?

Natürlich kommt es in der internationalen Arena zu großen Veränderungen. Vor allem wegen der Pandemie, doch auch aus anderen Gründen. Das erfordert eine sehr tiefe Analyse. Doch für mich ist die wichtigste Schlussfolgerung daraus, dass wir kooperieren müssen. Es gibt Fragen zur Impfung, es gibt Finanzprobleme, es gibt das Problem der Militärausgaben. Unter den jetzigen Bedingungen sind diese Ausgaben übermäßig. Ich rief bereits im Frühjahr dazu auf, sie um zehn bzw. 15 Prozent abzubauen. Die Umweltprobleme sind sehr akut. Ohne den Ausbau der Kontakte ist das alles nicht zu lösen. Ich hoffe, dass die Staaten jetzt lernen werden, das Internet zu nutzen, um das Zusammenwirken zu aktivieren und zu beschleunigen. Doch es sind natürlich auch persönliche Treffen der Spitzenpolitiker notwendig.

- Im vergangenen Jahr waren es 35 Jahre seit Ihrem Treffen mit Ronald Reagan in Genf. Dieser Gipfel gilt als Wendepunkt in den sowjetisch-amerikanischen Beziehungen. Wäre heute eine solche Wende möglich? Wie werden sich unsere Beziehungen zu den USA und die Lage in der Welt mit dem Machtantritt Joe Bidens verändern? Gibt es noch Chancen auf eine Rettung des New-START-Vertrags?

Das ist das Hauptthema. Das, was sich vor 35 Jahren ereignet hat, ist immer noch aktuell. Vor allem die Hauptschlussfolgerung meiner Verhandlungen mit dem US-Präsidenten. Sie ist in einer gemeinsamen Erklärung festgehalten:

„Ein Atomkrieg darf nicht zugelassen werden, es kann dort keinen Sieger geben. Die Seiten werden keine militärische Überlegenheit anstreben“.

Russland schlug übrigens den Amerikanern vor kurzem vor, diese Maxime erneut zu bestätigen. Jetzt kommt eine neue Administration, man sollte diesen Vorschlag aktualisieren.

Ich traf mich mehrmals mit Joe Biden, ich kann mich gut an ihn erinnern. Als Senator unterstützte er alle sowjetisch-amerikanischen Vereinbarungen über die atomare Abrüstung. Auch als Vizepräsident unterstützte er natürlich den New-START-Vertrag, der von Obama und Medwedew unterzeichnet wurde. In seiner Wahlkampagne sagte er, dass der Vertrag verlängert werden solle. Doch ich denke, dass dies lediglich ein erster Schritt ist.

Weitere Kürzungen sollten vereinbart werden. Man sollte die Militärdoktrinen besprechen und revidieren. Und dies in Richtung der Nichtanwendung von Atomwaffen als erster, und nicht in Richtung der Senkung der Schwelle ihrer Anwendung, wie das zurzeit passiert. Danach sollten in die Verhandlungen andere Atommächte einbezogen werden. Das ist eine sehr umfassende und schwierige Agenda. Wenn die USA und Russland dies tatsächlich anpacken, werden sie und alle anderen davon profitieren.

- Was denken Sie über die Situation im postsowjetischen Raum, darunter die Krisen in Weißrussland und Kirgisien? Sind die erreichten Vereinbarungen zu Bergkarabach eine Grundlage für die Lösung des Konflikts und ein Schritt zur langfristigen Stabilität in der Region?

Was jetzt bei unseren Nachbarn vor sich geht, besorgt mich sehr. Das sind Schwierigkeiten beim Übergang zur Demokratie. Hätten wir es geschafft, die Union in einer gewissen Form beizubehalten, hätte es weniger davon gegeben – da bin ich mir sicher. Doch ich glaube, dass die Völker in der Lage sind, diese zu überwinden. Wissen Sie, im September gab ich einem „Times“-Korrespondenten ein Interview. Ich sagte ihm, dass ich von den Weißrussen begeistert bin. Dieses Volk überstand derart schwere Prüfungen, erlitt so schwere Verluste, verteidigte sich und belebte die Republik wieder! Man sollte diesem Volk die Möglichkeit geben, selbst einen Weg zu finden. Es kann dies bewerkstelligen, da bin ich mir sicher. Wenn man Verfassungsänderungen durchführen muss, werden sich die Weißrussen untereinander verständigen, man sollte sich da nicht einmischen. Man braucht ein verantwortungsvolles Verhalten aller Teilnehmer dieses Prozesses. Das habe ich vor drei Monaten gesagt und kann das jetzt wiederholen.

Was Karabach betrifft… Eine sehr schwierige Frage, die tief in der Vergangenheit wurzelt. Als sie sich zuspitzte, versuchten wir, den beiden Republiken, den beiden Völkern dabei zu helfen, eine Lösung zu finden. Anschließend versuchte Russland das zu tun. Jetzt, nachdem die Kampfhandlungen gestoppt sind, ist es wichtig, es nicht dabei zu belassen, das Problem nicht für weitere Jahrzehnte ungelöst zu lassen. Ich hoffe, dass Russland dabei helfen kann, doch die Hauptrolle gehört den Konfliktseiten. Armenien und Aserbaidschan übernahmen die Verpflichtung, die Verhandlungen zur Konfliktregelung durchzuführen. Die Lösung muss im Interesse der beiden Seiten, ohne Gewinner und Besiegte liegen.

- Wie war das Jahr 2020 für Russland? Wie schätzen Sie die Wirtschaftssituation ein? Haben sich die Wirtschaftsprobleme angesichts der Pandemie und des Ölpreisrückgangs zugespitzt? Was denken Sie über die politischen Prozesse im Lande? Was erwarten Sie von den Parlamentswahlen in diesem Jahr?

Das Jahr war schwer für Russland, und nicht nur für Russland. Für alle. Die Pandemie ist natürlich der Hauptfaktor. Den Ölpreisrückgang meisterte Russland und kann ihn auch jetzt meistern.

Es entstand die Hoffnung auf den Impfstoff. Doch es steht eine immense Arbeit bevor, die Beschlüsse sind sehr verantwortungsvoll. Die Wiederherstellung der Wirtschaftsprozesse steht bevor. Man sollte Klein- und Mittelunternehmen helfen, damit die Menschen aus dem Geschäft nicht aussteigen. Daran sollten sich alle, darunter natürlich das Parlament, beteiligen. Ich hoffe, dass starke, selbstständige Menschen, die zu einer ernsthaften Arbeit fähig sind, gewählt werden.

- Im vergangenen Jahr feierte die Welt den Jahrestag des Sieges über den Faschismus, 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Haben sich die Kontroversen in der heutigen Welt vertieft oder ließ die Pandemie die Länder enger zusammenrücken? Besteht die Gefahr eines neuen großen Krieges? Wie ist der Einfluss der Vereinten Nationen 75 Jahre nach ihrer Gründung? Ist eine Reform der Organisation notwendig?

Ich denke, dass unser Land den Jahrestag des Sieges würdevoll gefeiert hat. Es erinnerte an die Lehren des Krieges, die Grundlagen der globalen Nachkriegsordnung. Aber Sie haben ihre Frage richtig an die Uno gekoppelt. Sie ist das wichtigste „Kind“ des Sieges. Es sollte behütet, entwickelt und natürlich reformiert, den weltweiten Veränderungen angepasst werden. Doch dazu muss das Vertrauen zwischen den führenden Mächten wiederaufgebaut werden. Es ist zerstört.

Jetzt wird erneut über die Konfrontation zwischen Ost und West, den Kalten Krieg, Wettrüsten gesprochen. Vieles muss aufs Neue begonnen werden. Ich denke, dass Russland für einen Dialog ist. Ich weiß, dass viele im Westen ebenfalls meinen, dass der jetzige Zustand nicht für weitere Jahre und vielleicht noch mehr verlängert werden darf. Zur Wiederaufnahme eines normalen Zusammenwirkens ist politischer Willen erforderlich, aber es gibt keinen anderen Weg außer Dialog."

Quelle: SNA News (Deutschland)

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