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Prof. Dr. Albert Stahel: "Putin behält den Hebel in der Hand"

Archivmeldung vom 14.02.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 14.02.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Wladimir Putin Bild: Presidential Press and Information Office / de.wikipedia.org
Wladimir Putin Bild: Presidential Press and Information Office / de.wikipedia.org

Waffenruhe, Abzug von Kämpfern, Grenzkontrolle: Nach 17 Stunden Nervenkrieg am Verhandlungstisch wurde der Friedensplan unterzeichnet. Doch nicht nur Prof. Dr. Albert Stahel, Professor für Strategische Studien an der Uni Zürich, hat Zweifel. "Es ist zu befürchten, dass auch dieses Abkommen das Papier nicht wert ist, auf dem es steht." Die von US-Politikern bevorzugte Lieferung von Waffen an die Ukraine wäre dagegen ein "ernstzunehmendes Signal an den Kreml gewesen, dass der Westen ihm Einhalt gebieten will."

Hat die deutsch-französische Pendeldiplomatie dem Frieden zum Durchbruch verholfen oder nur den Sieg Putins in der Ostukraine zementiet?

Prof. Dr. Albert Stahel: Wir haben ein zweischneidiges Ergebnis. Verabredet wurde lediglich eine Waffenruhe. Es ist immerhin etwas, dass sich die Separatisten auf die Waffenstillstandslinie zurückziehen müssen, die im Abkommen von Minsk vom September 2014 beschlossen worden war. Aber schon dieses Abkommen war das Papier nicht wert, auf dem es stand. Es ist zu befürchten, dass dies auch für das neue Abkommen gilt. Putins Kompromissbereitschaft löste sich in der Vergangenheit noch immer sehr schnell in Luft auf. Dank der militärischen Unterstützung Russlands haben die Separatisten mittlerweile eine weitgehende politische Unabhängigkeit der von ihnen eroberten Gebiete in den Provinzen Donezk und Luhansk erreicht. Nächstes Ziel ist vermutlich die vollständige Eroberung der beiden Provinzen und, nach deren Abschluss entsprechend dem Modellfall Süd-Ossetien und Abchasien, ihre Anerkennung als unabhängige Republiken durch Russland. Putins eigentliche Ziele sind noch nicht erkennbar, zumal der Kreml noch die Ergebnisse der Appeasement-Diplomatie der Kanzlerin Merkel abwartet. Falls sich US-Präsident Obama nicht der politischen Umarmung durch Deutschland entzieht und sich für Waffenlieferungen entscheidet, kann die ukrainische Armee die Aggression Russlands auf Dauer nicht abwehren.

Droht ein frozen conflict, den Moskau jederzeit nutzen kann, um das westliche Bündnis zu spalten?

Prof. Stahel: In der Tat. Positiv daran kann sein, dass zumindest das Blutvergießen endet. Negativ daran ist, dass es in Putins Hand liegt, daraus jederzeit wieder einen heißen Konflikt machen zu können. Schon jetzt haben wir ein gespaltenes Land. Doch es geht dort um viel mehr als nur um ein, zwei Städte oder den Donbass als Schwerindustrie-Gebiet. Die Beute ist vielmehr die Ukraine insgesamt. Es geht um die Frage, ob sich die Ukraine dem Westen nähern darf oder als Vorhof Russlands in Moskaus Einflussgebiet bleiben muss. Jetzt behält Putin den Hebel in der Hand, das Land zu destabilisieren.

War die US-Diskussion um Waffen an Kiew ein ernstzunehmender Versuchsballon Washingtons oder nur Theaterdonner?

Prof. Stahel: Das war mehr als Theaterdonner, weil die Forderung in einer Studie erhoben wurde, die von drei großen wissenschaftlichen Institutionen vorgelegt worden ist, und die Autoren sind ehemalige Administrationsmitarbeiter der Regierung Clinton und Obama, die durchaus Gewicht haben. Sie schlagen vor, dass die Vereinigten Staaten jedes Jahr in den nächsten drei Jahren eine Milliarde US-Dollar zur Verfügung stellen. Damit soll vorwiegend defensives Material geliefert werden wie Drohnen, nicht abhörbare Kommunikationssysteme und Artillerie-Ortungsradar. Als einzige tödliche Waffe sind derzeit Panzerabwehrraketen im Gespräch.

Würde die Lieferung nichtletaler Systeme an Kiew die Verhandlungsbereitschaft des Kreml erhöhen oder pulverisieren?

Prof. Stahel: Das würde als Warnsignal in Moskau Wirkung entfalten. Zumal es Kiew in die Lage versetzt, die Wirkung der Mehrfachraketenwerfer BM-21 einzudämmen, die derzeit die Stadt Debaltseve, eine Transportdrehscheibe, Haus für Haus zertrümmern. Die Botschaft an den Kreml wäre, dass der Westen bereit ist, dem Krieg Einhalt zu gebieten.

Wird in der Ukraine noch ein unterschwelliger, hybrider Krieg geführt oder bereits ein klassischer?

Prof. Stahel: Der hybride Krieg, in dem vor allem Spezialeinheiten eingesetzt wurden, endete zum Jahreswechsel. Seitdem sind die Separatisten und ihre Berater zum offenen Krieg übergegangen. Wie sich bei der Eroberung des Flughafens von Donezk zeigte, sind sie zum operativen Konzept der Kesselschlacht aus dem Zweiten Weltkrieg übergegangen. Gleichwohl besteht die Gefahr russischer Destabilisierungsaktionen unterhalb der Kriegsschwelle weiter, etwa für die baltischen Staaten.

Hätte die Lieferung moderner westlicher Waffen überhaupt Sinn ohne vorheriges Training oder sollen Ex-Warschauer-Pakt-Staaten in der NATO ihre alten sowjetischen Waffen liefern?

Prof. Stahel: Die alten sowjetischen Panzerabwehrwaffen muss man gegenüber modernen russischen Panzern vom Typ T-80 als wirkungslos betrachten. Die von der NATO möglicherweise zu liefernden "Fire-and-Forget"-Lenkraketen vom Typ FGM-148 Javelin sollen bereits nach kurzer Einweisung handhabbar sein. Das wäre also keine Hürde. In der 17-seitigen US-Studie wird allerdings vorgeschlagen, dass Ex-Warschauer-Pakt-Staaten im westlichen Bündnis ihre alten sowjetischen Luftabwehrwaffen in die Ukraine liefern sollten. Die wären durchaus noch schlagkräftig, falls Russland aktiv mit Jets in den Krieg eingreift.

Welchen Sinn hätten US-Waffenlieferungen gehabt angesichts der sehr viel kürzeren Nachschubwege aus Russland für die Separatisten?

Prof. Stahel: In der Debatte ging es ja lediglich um Führungs- und Aufklärungsmittel sowie um Panzerabwehrwaffen. Die hat die US-Army in ihren Beständen in Europa, speziell Deutschland. Die Versorgung der Ukraine wäre also machbar. Logistische Anmarschwege spielen erst eine Rolle in Kriegsszenarien wie etwa durch den Feldzug des IS in Syrien und dem Irak.

In der russischen Militärdoktrin von 2010 ist festgelegt, dass das Heranrücken von NATO-Strukturen als Bedrohnung gesehen würde. Wie groß ist die Gefahr, dass der Ausbau der Speerspitze den Konflikt anheizt?

Prof. Stahel: Da wird lediglich ein Vorwand propagandistisch aufgeheizt. Mit dieser Argumentation müsste Moskau ja bereits die NATO-Mitgliedschaft von Polen und den baltischen Republiken als Kriegsgrund betrachten. Der Kreml weiß ganz genau, dass die heutige NATO für Russland keine Bedrohung darstellt. Nach außen wird dennoch gerne über die Kanäle im Westen eine andere Wahrnehmung, werden Einkreisungsängste behauptet. Das ist sowohl außenpolitischer Hebel als auch innenpolitisches Mobilisierungsinstrument. Würde der Westen die Ukraine darin unterstützen, sich gegen die besser ausgerüsteten Separatisten zu behaupten, kann das auch aus Moskauer Sicht nicht wirklich bedrohlich wirken. Eine Panzerabwehrrakete ist keine Offensivwaffe.

Die Petro-Rubel tröpfeln nur, die Modernisierung von Gesellschaft und Armee hakt. Überdehnt Russland seine Kräfte im Ringen mit dem Westen wie einst die Sowjetunion?

Prof. Stahel: Jein, es kommt darauf an, welchen Zeitraum man analysiert. Moskau will bis 2020 über 1000 Milliarden Rubel in seine Streitkräfte stecken. Solange das in Rubel geschieht, mag das funktionieren. Langfristig lauern dagegen Probleme, weil Russland bei seiner Aufrüstung der Armee nur sehr wenig in Forschung und Entwicklung neuer Waffensysteme investiert. Was jetzt umgesetzt wird, sind zumeist Projekte, die man noch aus der Ära Jelzin in der Pipeline hatte. Jetzt kann sich der Kreml noch mit neuen Waffen blenden, aber nach 2020 wird dies angesichts der fehlenden Innovation schwieriger.

Kämpfer ohne Hoheitsabzeichen in der Ukraine, US-Söldnerfirmen im Irak: Lagern Großmächte die Kriegführung künftig öfter aus?

Prof. Stahel: In der Tat, ein weiteres Beispiel wäre der Krieg, den die Peschmerga und die irakische Armee gegen den IS führen. Gerade die westlichen Gesellschaften verkraften es immer weniger, wenn ihre Soldaten im Kampf fallen. Die Auslagerung umgeht dieses.

Ist Deutschlands Veto gegen Waffenlieferungen Ausdruck der antimilitaristischen Grundhaltung nach dem Krieg oder eines besonderen Verhältnisses zu Russland?

Prof. Stahel: Sowohl als auch. Es ist verständlich, dass Deutschland nach den Erfahrungen zweier Weltkriege nicht mehr leichtfertig aufs Militär setzt. Andererseits will Berlin das besondere politische und wirtschaftliche Verhältnis zu Russland nicht gefährden. Die Bundesregierung stellt sich so in eine Kontinuitätslinie, die über das Verhältnis von Preußen zum Zarenreich über den Rapallo-Vertrag zwischen Weimarer Republik und Sowjetunion bis heute reicht.

Hat Berlin noch nicht verstanden, dass Putins großrussischer Traum die Kalte-Kriegs-Konstellation zurückgebracht hat?

Prof. Stahel: Ich vermute, dass die Kanzlerin zwar genau weiß, wie Putin tickt, aber dennoch bestrebt ist, ihn einzuhegen oder zumindestens, Zeit zu gewinnen. Das Problem ist, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Putin hat ein zentrales Ziel, die Wiederherstellung einer Art Sowjetunion light. Für ihn war der Zusammenbruch der UdSSR das größte Drama des zwanzigsten Jahrhunderts. In diesem Punkt will er das Rad der Geschichte zurückdrehen.

Hat die EU Putins Ambitionen ignoriert, als es der Ukraine ein Assoziierungsabkommen offerierte, ohne dies machtpolitisch abzusichern?

Prof. Stahel: Das ist eine sehr gute Analyse. Tatsächlich lockte die EU mit der langfristigen Beitrittsperspektive, ignorierte dabei aber, dass Machtpolitik und Geopolitik immer noch zum Instrumentarium von Staaten mit Großmachtambitionen gehören. Was in Berlin und Brüssel übersehen wurde, war, dass es ohne machtpolitische Abstützung keine Annäherung geben kann. Der größte Fehler war, dass die NATO den Antrag der Ukraine auf Mitgliedschaft abgelehnt hat, obwohl dieser von Washington unterstützt wurde. Denn ohne NATO-Mitgliedschaft der Ukraine kann es keine EU-Mitgliedschaft geben.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg - Das Interview führte Joachim Zießler (ots)

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