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Prof. Albert Stahel: ,,Deutschland sendet das falsche Signal"

Archivmeldung vom 15.07.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 15.07.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
LEOPARD 2A7+ Bild: Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG
LEOPARD 2A7+ Bild: Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG

Patrouillenboote nach Angola, die neuesten Leopard-2-Kampfpanzer nach Saudi-Arabien: Deutsche Rüstungsexporte sorgen für Schlagzeilen. Besonders der Panzer-Deal mit dem ultrakonservativen Königshaus in Riad ist umstritten. Waren es doch saudische Panzer, die den Aufstand in Bahrain niederwalzten. Der Schweizer Strategieexperte Prof. Albert Stahel kritisiert die fehlende strategische Tiefe in der deutschen Außenpolitik.

Der nicht offziell bestätigte Panzer-Deal sorgt in Deutschland für Aufregung. Aus der neutralen Schweiz betrachtet: Ist die Aufregung gerechtfertigt?

Prof. Albert A. Stahel: Ja, das würde ich sagen. Mich wundert dies zum ersten, weil die saudische Armee bis dato weitgehend mit amerikanischem Material ausgerüstet ist. Von daher ist der Leopard 2 nicht gerade kompatibel. Zum zweiten erfolgt diese Waffenlieferung in eine geopolitisch heiße Gegend. Das ist nicht das Signal, das aus Europa kommen sollte.

Die Golf-Anrainer rüsten sich bei westlichen Waffenschmieden massiv auf..

Prof. Stahel: Hintergrund ist die traditionelle Rivalität zwischen Saudi-Arabien und Iran. Verschärfend wirkt sich der anstehende Abzug der Amerikaner aus dem Irak aus. Die schiitische Bevölkerungsmehrheit des Irak hegt freundschaftliche Gefühle gegenüber dem schiitischen Iran. Von Riad ist dagegen eine Unterstützung aufständischer Sunniten zu erwarten. Eine Waffenlieferung angesichts eines derartig aufgeheizten politischen, religiösen und ethnischen Gegensatzes ist nicht geeignet, die Lage zu beruhigen.

Droht ein Waffengang? Prof. Stahel: Nein, aber eine politische Konfrontation, die eskalieren kann. Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass beide Akteure in Afghanistan gegensätzliche Interessen verfolgen.

Wächst in Riad die Furcht vor einer Vormacht Iran am Golf, seit die USA den Konkurrenten Irak aus dem Spiel genommen haben?

Prof. Stahel: Ja, wie damals der saudische König US-Präsident Bush sagte: "Ihr habt den Irak dem Iran auf einem Silbertablett serviert." Die Vorherrschaft der sunnitischen Minderheit unter Saddam Hussein wurde abgelöst durch eine Herrschaft der schiitischen Mehrheit. Hinzu kommt das Problem Syrien: Obwohl säkular, lehnt sich das Regime Assad stark an Teheran an. Die Situation für Saudi-Arabien ist kompliziert.

Wird sie noch zusätzlich verkompliziert durch die Möglichkeit eines israelischen Schlages gegen Irans Atomanlagen?

Prof. Stahel: Diese Option besteht. Wobei das iranische Atomprogramm durch den eingeschleusten Stuxnet-Wurm offenbar erheblich zurückgeworfen wurde. Derzeit steht ein solcher Schlag wohl nicht kurzfristig bevor, er wird zudem in Israel kontrovers diskutiert. Doch auch ohne diesen Konflikt ist die Lage explosiv. Schon allein, weil das Gros der schwindenden Erdölvorräte der Welt ebenso in dieser Region liegt wie Schifffahrtsrouten, die für den Westen überlebenswichtig sind.

Steigern deutsche Kampfpanzer die bisher schwache Kampfkraft der saudischen Armee so sehr, dass sie sich gegen Iran behaupten könnte?

Prof. Stahel: Ich würde den militärischen Wert nicht so hoch veranschlagen. Aber da Waffen zur Schau gestellt werden, wirkt sich die militärische Unterstützung durch Deutschland politisch aus. Schlussendlich ist für Riad der Schutz durch die US-Luftmacht entscheidend. Aber die direkte Einmischung einer kontinentaleuropäischen Macht in der Region verändert die psychologische Lage.

In der Vergangenheit waren deutsche Waffenexporte nach Saudi-Arabien oft abgelehnt worden mit dem Verweis auf die besondere deutsche Verantwortung für Israel...

Prof. Stahel: Für Israel ist diese Panzer-Lieferung nicht wirklich von Bedeutung. Als militärische Groß- und Nuklearmacht sind sie kaum verwundbar. Sie verfügen zudem über das einzige funktionierende Abwehrsystem gegen Boden-Boden-Raketen.

Muss man von einer Zustimmung Jerusalems zum Panzer-Deal, vielleicht sogar einer stillen Allianz von Saudi-Arabien und Israel gegen Iran ausgehen? 

Prof. Stahel: Es gibt seit längerem einen stillen Pakt zwischen Israel und Saudi-Arabien, weil sie einen gemeinsamen Feind haben: die Schiiten im Iran sowie in der Hisbollah, die vom Libanon aus operiert.

Wäre Europa nicht besser beraten, das sich "demokratisierende" Ägypten zum sunnitischen Prellbock gegen Teheran aufzubauen statt die ultrakonservativen Saudis?

Prof. Stahel: Zunächst wäre vor allem europäische soft power gefragt -- die Vorbildfunktion, die diplomatisch in die Waagschale geworfen werden kann. Und dann müsste in der Tat vor allem Ägypten gestützt werden, nicht in erster Linie wegen der Gefährdung durch den Iran, sondern weil Ägypten der Schlüsselstaat der Region ist. Es wäre sinnvoll, diesen Angelpunkt Arabiens mit allen Mitteln zu unterstützen.

Sollte der Westen sogar auf die zurzeit unterdrückte iranische Opposition setzen?

Prof. Stahel: Unbedingt. Diese Soft-Power-Karte sollte der Westen spielen. Die gebildete Jugend Irans ist westlich orientiert. Sie sollte nicht vernachlässigt werden. Schon gar nicht angesichts der fehlenden Stabilität des Mullah-Regimes. Fehlende wirtschaftliche Perspektiven und Machtkämpfe zwischen Theokraten und Revolutionswächtern haben dazu geführt, dass das Regime das Volk längst nicht mehr so allumfassend kontrolliert wie noch vor 15, 20 Jahren. Nur, wenn sich der Westen jetzt für die Opposition engagiert, wäre er für den Fall gewappnet, dass das Regime implodiert.

Die Leo2-Panzer der neuesten Generation sollen sich laut SIPRI besonders gut zur Einschüchterung Aufständischer eignen. Unterläuft Deutschland seine eigenen Waffenexport-Standards?

Prof. Stahel: Kampfpanzer haben als Hauptwaffen moderner Kriege ausgedient. Wichtiger sind heute Hubschrauber, Kampfjets und Drohnen. Kampfpanzer sind heute Unterstützungswaffen und werden natürlich auch eingesetzt zur Niederschlagung von Aufständen. Auch in diesem Sinne setzt man ein falsches Signal.

Waffen an libysche Aufständische zu liefern, war für Berlin tabu. Waffen für diejenigen, die den Aufstand in Bahrain niederwalzten, sind dagegen ok....

Prof. Stahel: Das ist das Paradoxe. Ich verstehe diesen Kurs nicht. Lange wurde der Irak als Gegengewicht zu Teheran aufgerüstet. Mit bekanntem Ergebnis. Fehlt es westlicher Außenpolitik an strategischer Tiefe? Prof. Stahel: Das ist das Merkwürdige. Einerseits behauptet Berlin, Realpolitik zu betreiben, indem es den strategischen Partner Saudi-Arabien unterstützt. Andererseits betreibt man Wertepolitik. Strategisches Denken ist in der Europäischen Union inexistent.

Der deutsche Außenminister ermunterte die ägyptischen Aufständischen, verweigerte den libyschen Rebellen Hilfe und stützt jetzt die Saudis. Wie bewerten sie Berlins Kurs während der arabischen Rebellion?

Prof. Stahel: Diffus und unklar. Zugleich Aufständische zumindest verbal und ein extrem rückwärtsgewandtes Regime real mit Waffen zu unterstützen kann nur, wer keine Linie hat. So kann das deutsche Engagement in Afghanistan unter anderem mit dem Einsatz für die Rechte der Frau begründet werden und zugleich das Frauen unterdrückende Regime in Riad hofiert werden. Das Interview führte Joachim Zießler

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)

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