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Generalleutnant Johann-Georg Dora: "Wir sind kein bewaffnetes THW"

Archivmeldung vom 31.10.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 31.10.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Am Hindukusch behauptet sich die Bundeswehr an ihrem gefährlichsten Einsatzort. Doch ein eigenartiges Tabu umgibt die Mission. So versuchen die Regierungsparteien, den Afghanistan-Krieg aus dem anstehenden Wahlkampf herauszuhalten.

Generalleutnant Johann-Georg Dora, der zweithöchste Bundeswehrsoldat, beschreibt im Interview mit unserer Zeitung, dass die Bundeswehrsoldaten von der Öffentlichkeit mehr Anerkennung erwarten.

Die Ex-Verteidigungsminister Struck, Rühe und Scharping sprechen von einem Krieg in Afghanistan, Minister Jung nicht. Wer hat Recht?

    Generalleutnant Johann-Georg Dora: Verteidigungsminister Dr. Jung hat mehrfach betont, wir führen in Afghanistan keinen Krieg. Wir sind in Afghanistan, um das Land zu stabilisieren, den Wiederaufbau zu ermöglichen und die Menschenrechtssituation zu verbessern. Das Wort "Krieg" ist in der deutschen Öffentlichkeit mit ganz bestimmten Erinnerungen und Bildern verbunden. Mit diesen ist der Einsatz in Afghanistan nicht zu vergleichen. Dennoch bezeichnen wir die getöteten Soldaten als Gefallene. Denn das Entscheidende für uns als Soldaten ist, wie das Geschehen bei uns ankommt. Hierbei ist es von nachrangiger Bedeutung, ob man den Einsatz in Afghanistan als Krieg definiert, als Kampf oder als asymmetrischen Konflikt. Für mich ist es besonders wichtig, den höchsten Einsatz, den unsere Soldaten dort wagen, auch als solchen anzuerkennen. Deshalb sind auch für mich Soldaten, die in Afghanistan bei Anschlägen oder Angriffen getötet werden, Gefallene.

Gebietet es nicht der Respekt vor den Soldaten, den Eiertanz um das Wort Kampfeinsatz zu beenden?

Dora: Wir haben von Beginn an nicht verschwiegen, dass es bei diesem Einsatz trotz der Betonung, es handele sich um einen Stabilisierungseinsatz, auch zu Kampfhandlungen kommen kann. Ich räume aber ein -- und da schließe ich die Soldaten nicht ganz aus -- dass wir diesen Aspekt vor drei bis vier Jahren nicht in der Deutlichkeit herausgestellt haben, dass er allgemein erkannt und gegenwärtig wurde. Insbesondere zu Beginn des Einsatzes wurde vor allem der humanitäre Aspekt herausgestellt. Damit erfassen wir aber nur einen Teil der Realität. Wir haben stets unsere Aufbauleistungen betont, was natürlich auch den Tatsachen entspricht. Aber in letzter Konsequenz haben Soldaten für Sicherheit zu sorgen und das heißt: auch zu kämpfen. Wir sind kein bewaffnetes Technisches Hilfswerk. In dem Bemühen, eine möglichst breite Mehrheit in der Öffentlichkeit und auch im parlamentarischen Raum von unserem Engagement für Afghanistan zu überzeugen, wurde dieser unvollständige Eindruck aus heutiger Sicht nicht mit dem erforderlichen Nachdruck zurechtgerückt. Unsere Soldaten erwarten aber die Anerkennung ihres gefahrvollen Einsatzes am Hindukusch. Teilweise ist diese Anerkennung in der deutschen Öffentlichkeit aber noch nicht so spürbar, wie wir uns das wünschten.

Kann man Kampf- und Stabilisierungseinsatz im Norden noch sauber trennen?

Dora: Klassisch getrennt waren diese Einsätze noch nie, weil der eine die Vorbedingung des anderen ist. Der OEF-Einsatz war und ist erforderlich, um einen erfolgreichen ISAF-Einsatz durchführen zu können. So läuft ein großer Teil der Ausbildungsunterstützung für die afghanische Armee, z.B. der Amerikaner unter dem OEF-Mandat. Deshalb ist die moralische Aufladung des OEF-Einsatzes und damit des Kampfes gegen den Terrorismus als "böse" und die des Stabilisierungseinsatzes unter ISAF-Mandat als "gut" -- wie sie in Deutschland noch allzu oft anzutreffen ist -- nicht richtig.

Die Mehrheit der Afghanen ist für den Bundeswehr-Einsatz, die Mehrheit der Deutschen dagegen. Erhält die Truppe ausreichend Flankenschutz von der Politik?

Dora: Grundsätzlich ja, ich erlebe im Bundestag und in den Ausschüssen immer wieder, dass sich die Politiker für die Bundeswehr und für die stete Verbesserung der Bedingungen im Einsatz engagieren. Dass es in der Bevölkerung möglicherweise Vorbehalte gegen den Einsatz gibt, liegt auch daran, dass Politik und Militär nicht überzeugend klar gemacht haben, worum es in Afghanistan tatsächlich geht. Dieses Versäumnis gilt es aufzuarbeiten.

Seit 2006 geht es mit der Sicherheitslage bergab. Sind Versäumnisse beim Wiederaufbau dafür verantwortlich?

Dora: Wir verfolgen in Afghanistan die Strategie des "Comprehensive Approach", also eines umfassenden Ansatzes, der zivile und militärische Stellen Hand in Hand am Wiederaufbau beteiligt. Deshalb erhebe ich jetzt nicht den Finger und unterstelle den zivilen Stellen Versäumnisse. Tatsache ist aber, dass die zivile Komponente in weiten Teilen noch in der Entwicklung ist. Zum Teil mangelt es dabei auch noch an der Koordination untereinander, zum einen zwischen unterschiedlichen zivilen Akteuren wie Nicht-Regierungsorganisationen und staatlichen Organisationen, zum anderen auch zwischen den Helfern und den Sicherheitsorganen. Wenn zivile Aktionen nicht hundertprozentig mit den ISAF-Kräften oder der afghanischen Armee und Polizei abgestimmt sind, kann der Wiederaufbau als Ganzes nicht funktionieren.

Sind die Mandate der Bundeswehr mit zwölf bzw. jetzt 14 Monaten zu kurzatmig?

Dora: Nein, wir decken damit einen Zeitraum ab, für den wir auch mittelfristig planen können, und der es uns erlaubt, unsere Maßnahmen kontinuierlich an die sich ändernden Verhältnisse anzupassen.

Restriktive Einsatzregeln nagen am Auftragsprinzip als Führungsmethode der Bundeswehr. Behindern realitätsblinde Vorgaben die Kommandeure vor Ort?

Dora: Soweit würde ich nicht gehen, realitätsblinde Vorgaben kenne ich nicht. Vorgaben können nicht immer alle Details vor Ort realitätsnah abbilden, müssen aber flexibel umsetzbar sein. Ohne klare und eindeutige Regeln kann man im Einsatz nicht agieren, gerade wenn es um den Waffeneinsatz und damit um Leben und Tod geht. In einer bedrohlichen Situation kann der Soldat nicht noch lange über sein Handeln nachdenken, für ihn muss Handlungssicherheit gelten. Gerade im Einsatz bewährt sich das Prinzip "Führen durch Auftrag". Ich kenne keine treffendere Situation, in der Soldaten in die Lage geraten, sehr selbstständig im Sinne des Ganzen handeln zu müssen. Diese Forderung haben wir gut in die Tat umgesetzt. Unsere Handlungsanweisungen sind handhabbar.

Gegenläufige Strategien, Koordinationsmängel und gegenseitige Vorwürfe kennzeichnen den NATO-Einsatz. Verliert das Bündnis am Hindukusch seinen Zusammenhalt?

Dora: Nein, eine solche Bestandsaufnahme ist überzeichnet. Die Einsatzregeln sind klar. Jeder weiß, was der andere darf oder nicht darf. Sämtliche Operationen sind daraufhin abgestimmt. Dass die Einsatzgebiete in Afghanistan geografisch aufgeteilt sind, wird hierzulande überinterpretiert. Wir haben Verantwortung übernommen für den Norden Afghanistans. Andere Nationen haben Verantwortung übernommen für den Süden, den Westen, den Osten oder Kabul. Die Verbündeten verfügen über entsprechende Kräfte in ihrem Bereich. Sollten diese Kräfte nicht genügen, muss der Oberkommandierende der NATO für Verstärkungen sorgen. Im Moment sehe ich keine eklatanten Fähigkeitsdefizite in irgendeinem Bereich, die dringend geschlossen werden müssten. Werden Lücken erkannt, so werden sie in der Regel geschlossen. So haben wir z.B. die Lücke in der Luftaufklärung geschlossen, indem wir die Recce-Tornados entsandt haben, die über ganz Afghanistan -- und zwar vorwiegend im Süden und Osten -- eingesetzt werden. Ebenso ist es normal, dass unsere Transportflüge mit der Transall ganz Afghanistan abdecken. Dementsprechend sehe ich keine Berechtigung zur Kritik, Deutschland würde sich ausschließlich auf den Norden konzentrieren. Sich an anderer Stelle zu engagieren, hieße zugleich, im Norden etwas aufzugeben. Und das kann nicht im Sinne des ISAF-Einsatzes sein. Auch die Erhöhung der Mandatsobergrenze um 1000 auf 4500 Soldaten zielt ja nicht darauf, einfach neue Kräfte in Marsch zu setzen. Sondern sie erhöht unsere Flexibilität, um auf Lageveränderungen angemessen reagieren zu können. Derzeit stehen andere Aufgaben im Vordergrund: So werden neben den drei schon bisher in diesem Bereich tätigen OMLT (Operational Mentor and Liasion Team), zwei weitere treten, die afghanische Truppen ausbilden. Zudem bauen wir im Norden eine Pionierschule und in Kabul eine Logistikschule auf. Dieses Engagement ist auch bei unseren Verbündeten anerkannt. Ein stabiler Norden trägt auch zur Sicherheit der anderen Regionen bei.

Die Sowjets scheiterten, obwohl sie doppelt so viele Soldaten im Land hatten und sich auf eine funktionierende afghanische Armee stützen konnten. Sind die Ziele des Westens in Afghanistan vermessen?

Dora: Das halte ich nicht für vergleichbar. Natürlich wäre es vermessen davon auszugehen, aus Afghanistan in Kürze eine Demokratie westlicher Prägung machen zu können. Uns muss vielmehr klar sein, in welchem Kulturkreis wir uns dort bewegen. Wir können nicht aus einem traditionell föderalen Land nach über 20 Jahren Bürgerkrieg im Handumdrehen ein dauerhaft funktionierendes, sicheres Staatswesen mit durchsetzungsfähiger zentraler Regierung machen. Wir müssen damit zufrieden sein, wenn wir die Bedingungen schaffen, die gutes Regierungshandeln möglich machen. Und hier bin ich optimistisch: Die Fortschritte bei der Polizei, der Justiz und der Armee sind so groß, dass es uns gelingen könnte, der afghanischen Regierung mittelfristig durchsetzungsfähige Mittel an die Hand zu geben, um darauf aufbauend irgendwann Sicherheit mit eigenen staatlichen Einrichtungen zu gewährleisten.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg

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