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Obama in Deutschland: Ein menschliches Vorbild kommt zu Besuch - aber kein politisches 'role model'

Archivmeldung vom 03.06.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 03.06.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch HB

Die Obamania geht weiter: Mit dem US-Präsidenten kommt am 4. Juni ein Gast zu Besuch, der die Deutschen weiterhin positiv fasziniert. Eine psychologische Studie zur Wirkung Obamas in Deutschland zeigt, dass es die menschlichen Werte und Haltungen der Person Barack Obama sind, von denen Inspiration und Faszination ausgehen - und nicht primär seine politische Programmatik.

Die Deutschen sind zwar beeindruckt von der Entschiedenheit, mit der die USA derzeit einen Wandel voran treiben; dieser 'Change' bleibt aber doch ein entfernter 'amerikanischer Traum' und gilt nicht als Modell für die bundesdeutsche Wirklichkeit. Die Zentrierung aller politischen Kräfte auf eine einzelne Person können und wollen sich die Befragten für Ihr Land nicht vorstellen. Die Magie des neuen US-Präsidenten liegt in der Verbindung von zwei scheinbar unvereinbaren Qualitäten: Performance und Verletzlichkeit. Es berührt die Menschen tief, dass Obama neben aller Entschlossenheit und Professionalität auch Schwächen nicht verschweigt und im Auftritt menschlich bleibt. Er wird dadurch zu einer Inspiration der persönlichen Lebensführung. Die Deutschen fragen sich mit Spannung, ob dieses 'Obama-Prinzip' unter den Bedingungen des politischen Tagesgeschäftes alltagstauglich ist - und bleiben kann.

Auch Monate nach seiner Wahl und trotz vieler Probleme im politischen Tagesgeschäft kann Barack Obama die Menschen weiterhin nachhaltig begeistern. Das Berliner Marktforschungsinstitut A&B FRAMEWORK hat nun in einer psychologischen Wirkungsanalyse untersucht, welches Bild sich die Deutschen von Barack Obama machen und welchen Einfluss die Obamania auf ihr Politikverständnis hat. Die qualitative Befragung fand in Kooperation mit der UMC POTSDAM University of Management and Communication (FH) statt.

Aus der Ferne so nah: Die Obamania als amerikanischer Traum Für die Deutschen ist Obama in mehrfacher Hinsicht ein amerikanischer Traum: Zunächst einmal ein traumhaftes Geschehen beim 'großen Bruder', das sie gebannt und staunend, aber eher von Ferne verfolgen. Darüber hinaus auch ein echter 'American Dream' von einem Menschen, der es 'from rag to riches' geschafft hat, und von einer Nation, die sich offenbar wieder einmal neu erfinden will. Und schließlich etwas, das - wie ein Traum - den eigenen Alltag herausfordern, bereichern und beunruhigen kann.

Sechs Qualitäten der Obamania

Die Obamania ist auch in Deutschland zu einem Ereignis geworden, das wie das Sommermärchen während der Fußball-WM 2006 eine kollektive Stimmungslage in Gang gebracht hat. Dieses 'Obama-Gefühl' hat Bestand, auch wenn Obama politisch nicht alle Erwartungen erfüllen kann. Es macht sich - quer zu allen Geschichten über Obama, seine Politik und seine Familie - an sechs zentralen Wirkungsfaktoren fest.

1. Euphorie

Barack Obama steht zunächst einmal für eine mitreißend entschiedene Ausrichtung auf den Wandel. Amerikas erster farbiger Präsident verspricht einen durchgreifenden Neubeginn: im politischen Stil, im Irak, im Umgang mit der (Finanz-)Wirtschaft. Es beeindruckt die Deutschen ungemein, welche Begeisterung dieser Wandel erzeugt. Ihre Hoffnung: Womöglich kommt hier etwas in Gang, das alte Zwänge und Grenzen aufbrechen kann. Viele der sonst so nüchternen Deutschen stellten sich in der Wahlnacht den Wecker und schwärmten - und schwärmen weiterhin - wie verliebte Teenager vom Change.

2. Vision

Die Euphorie kann sich nur entfalten, weil Obama ihr eine klare Vision gibt: "Yes we can". Die Ausrichtung auf den Wandel macht Mut angesichts der weltweiten Krisenstimmung und lähmender Stillhalteabkommen. Sie wirkt glaubwürdig, weil Obama mit seiner Wahl schon dramatische Erfolge errungen hat. Die Deutschen erleben ihn als Mann mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, der eine unglaubliche Entwicklung vom schwarzen Immigranten-Kind bis zum Präsidenten genommen hat. Als Person und mit seiner Familie bildet er eine Projektionsfläche für Idealisierungen aller Art.

3. Leistung

Die Obamania beeindruckt nicht nur durch einen mitreißenden Redner, sondern auch durch handfesten Einsatz. Das politische Pensum wirkt wie ein übermenschlicher Kraftakt: Obama verfolgt Großprojekte auf allen Ebenen, jagt von einer Rede zur nächsten und denkt nebenher immer noch an seine Kinder, die ihn so selten zu Gesicht bekommen. Veränderung, das wird dabei deutlich, ist eine Herkules-Aufgabe, denn Ideale müssen praktisch im Alltag umgesetzt werden. Das gilt sowohl für Obama, als auch für die Millionen von Amerikanern, die ihre Freizeit geopfert haben, um für die Wahl des neuen Präsidenten Klingelschilder zu putzen.

4. Verpflichtung

Es gehört zu den auffälligsten Zügen der Obamania, dass sie trotz Glorifizierung nicht wie ein Egotrip wirkt. Erst durch Zusammenhalten, so das Credo des Präsidenten, können individuelle Ziele verwirklicht werden. Die Wähler- und Internetgemeinde ist ebenso Sinnbild für eine starke Gemeinschaft wie Obamas Familie. Die Deutschen merken, dass diese Bindung Sicherheit gibt, aber auch Verpflichtung bedeutet. Die Anhängerschaft wird wie eine Glaubensgemeinschaft verstanden: jeder Einzelne hat sich einem Prinzip verschrieben, das größer ist als er selbst. Amerika scheint sich von einer egoistischen Ellenbogengesellschaft wieder zu einer Nation zu entwickeln, die auch andere Länder als gleichwertige Partner ansieht.

5. Wagnis

Wer sich gemeinschaftlich einer Sache verpflichtet geht auch Risiken ein: Er kann scheitern oder verraten werden. Vor dem Hintergrund einer weit verbreiteten Absicherungsmentalität wirkt das gesamte Projekt Obama auf die Deutschen wie ein un-geheures Wagnis: Was, wenn er sich zuviel zugemutet hat? Was, wenn die Konjunkturpakete verpuffen? Es wird spürbar, dass der Neuanfang einerseits nur funktionieren kann, wenn man entschieden auf eine Karte setzt, und dass es dabei andererseits keine Garantien gibt. Der Eindruck, dass die Obamas auch persönlich ungeheuer viel riskieren, drückt sich auch in der regelmäßig geäußerten Befürchtung aus, sie könnten Opfer eines Attentats werden.

6. Besinnung

Amerika scheint mit und durch Obama nicht nur aufzubrechen, sondern vor allem auch zur Besinnung zu kommen. Unter Präsident Bush hatte das Land aus Sicht der Befragten den Blick für die Realität zunehmend verloren und einen starren Kriegskurs bis zum bitteren Ende verfolgt. Obama mahnt nun plötzlich zum Innehalten und stößt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den eigenen Fehlentwicklungen an. Es gilt, so die Botschaft, wieder genau hinzuschauen. An die Stelle eines verbohrten Pathos oder dramatischer Feindbilder treten einfache, aber unangenehme Wahrheiten, die in der Luft liegen, aber sonst nicht ausgesprochen werden.

Die Magie Obamas: Performance und Verletzlichkeit

Die Menschen machen an Barack Obama ein sehr breites Spektrum von Eigenschaften fest. Ihre Gefühlslagen reichen dabei von euphorischer Schwärmerei bis hin zum nachdenklichen Innehalten. Das Phänomen Obama vereint Lebens-Bilder, wie sie gegensätzlicher kaum sein können.

Performance: Obama beeindruckt einerseits, weil er all das verkörpert, was der moderne Mensch heute braucht: Eine mitreißende Entschiedenheit, ein klares Ziel und das notwendige Können. Obama wirkt wie die perfekte Führungspersönlichkeit und erfüllt die zeitgenössischen Ideale: So stark, so zielstrebig, so perfekt wollen wir sein, so viel Performance müssen wir aufbringen, um die Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen.

Verletzlichkeit: Obama bewegt andererseits, weil er eine Form von Menschlichkeit ausstrahlt, die so gar nicht zum Klischee eines 'Machers' passen will. Er macht sich abhängig von Anderen und geht immense Risiken ein - politisch und persönlich, scheinbar ohne Rückfallposition. Dennoch wirkt er nicht waghalsig. Am Ende steht eine bescheidene Anerkennung der eigenen Grenzen. Derart verletzlich zu sein wirkt antizyklisch: Schwäche gehört bislang nicht zu den Codices des Politikbetriebs.

Das Wechselspiel von Stärke und Schwäche zeigt sich besonders eindringlich an Obamas Reden. Er weckt Begeisterungsstürme, stimmt aber selbst nicht in den Jubel ein. Er macht vielmehr klar, dass es gilt, Fehler einzugestehen und mit Bedacht an die neuen Aufgaben heran zu gehen. Zu beinahe magischen Momenten kommt es, wenn deutlich wird, dass der geniale Redner selbst nicht nur Übermensch, sondern auch Mensch ist: Jemand, der über den Tod seiner Großmutter trauert, der sich bei einem Amtseid verhaspelt und der mit seinen Kindern über Dinosaurier spricht.

Die gelebte Botschaft: Stärke und Menschlichkeit sind vereinbar Die stärkste Wirkung Obamas entsteht durch kleine, alltägliche und einfach-menschliche Gesten, die geradezu Kultcharakter entfalten und immer wieder auf YouTube betrachtet werden: Wenn Obama dem Wachmann vor Downing Street 10 spontan die Hand reicht und dadurch die Steifheit seines britischen Kollegen entlarvt; wenn Michelle Obama die Queen umfasst, dabei brüske Zurückweisung riskiert, aber die Sympathien der Welt gewinnt. Diese Szenen erzeugen eine tiefe Rührung, weil sie zeigen, dass Stärke und Menschlichkeit sich nicht ausschließen müssen und der Zwang zur starren Performance durchbrochen werden kann. Sie zeigen im Kleinen, dass hier tatsächlich ein Wandel statt findet - im Bild des Politikers.

Konsequenz: Ein privates, aber kein politisches Role Model Das Interesse der Deutschen an Barack Obama kreist im Kern um derart menschliche Fragen: Wie perfekt muss, wie verletzlich darf ein Politiker, darf man selbst sein? Wem kann man trauen und wie viel will man dabei riskieren? Wie soll man leben - und wofür? Obama antwortet hierauf durch eine Art 'praktischen Glauben': Wer tatsächlich an sich und seine Sache glaubt, kann auch Schwächen zulassen und Menschlichkeit zeigen. Er kann, so mutet das amerikanische Experiment zumindest derzeit an, sich womöglich selbst am Schopf aus dem Sumpf ziehen.

Mit Barack Obama verbinden die Deutschen nicht ein dezidiert politisiertes Programm, wie es zum Beispiel bei Willy Brandt ("mehr Demokratie wagen"), Michail Gorbatschow ("Glasnost & Perestrioka") oder Lech Walesa ("Solidarnosc") der Fall war. Das Prinzip Obama steht eher für ein neues Lebensgefühl und neuen Lebensmut. Die Zielsetzung "Change" wirkt pragmatisch und offen, konkretisiert sich aber auf einer menschlichen Ebene: Obama selbst wirkt wie die Inkarnation seiner Politik. Er lebt, was er predigt: Den Glauben an die Veränderung, der seinen Aufstieg erst möglich gemacht hat. An seiner Herkunft, seinem Wahlkampf, seinen Büchern, seinem Reden und seiner Familie macht man die menschlichen und die politischen Ideale fest, um die es geht.

Bei aller Faszination: Für den bundesdeutschen politischen Alltag können sich die Befragten eine derartige Zentrierung aller Kräfte auf eine Person nicht vorstellen. Vor der entschiedenen Ausrichtung aller Bestrebungen auf den Change schrecken sie letztlich zurück. Das bundesdeutsche Modell eines austarierten Kräfte- und Ränkespiels zwischen den parteipolitischen und föderalen Akteuren verspricht demgegenüber doch mehr Sicherheit. Um die Kontinuität am Kabinettstisch zu wahren, werden auch schwere Geschütze mobilisiert: Viele Befragte betonen, dass sich die Deutschen aufgrund ihrer Ge-schichte schlichtweg schwer mit Charismatikern tun.

In der persönlichen Lebensführung zeigt der amerikanische Traum rund um Barack Obama allerdings Wirkung. Er regt dazu an, das eigene Auftreten, das Verhältnis zu Freunden oder Kollegen, das persönliche Engagement zu überdenken. Hier setzt sich, nahezu unbemerkt, immer mal wieder das Obama-Prinzip durch. Dies spricht dann dafür, etwas mehr an die eigene Sache zu glauben, etwas offener auf seine Mitmenschen zu-zugehen, mal auf die sonst üblichen Alltagsmasken zu verzichten und sich dabei - trotz aller Krisenstimmung - nicht unter kriegen zu lassen.

Untersuchungsdesign

A&B FRAMEWORK hat in einem Kooperationsprojekt mit der UMC Potsdam (FH) das Phänomen Barack Obama aus Sicht der deutschen Bevölkerung untersucht. In 30 Erlebensprotokollen, 24 Tiefeninterviews und 2 Gruppendiskussionen wurden insgesamt 70 Deutsche in zweistündigen tiefenpsychologischen Explorationen dazu befragt, welches Bild sie sich von Obama und den Entwicklungen in Amerika machen. Die Untersuchung fand im Zeitraum Januar bis Mai 2009 statt.

Quelle: A&B FRAMEWORK Gesellschaft für Kommunikationsforschung mbH

 

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