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Militärisch allein lässt sich Terrorismus nicht bekämpfen

Archivmeldung vom 15.09.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 15.09.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Die zunehmend kritische Situation in Afghanistan sowie die notwendigen Veränderungen im Denken und Handeln der politisch, militärisch und wehrtechnisch Verantwortlichen bestimmten die Auftakt-Reden der hochrangig besetzten 5. Handelsblatt Konferenz "Sicherheitspolitik und Verteidigungspolitik" (9. und 10. September 2008) in Berlin.

Neben dem deutschen Verteidigungsminister Franz-Josef Jung erläutern der afghanische Außenminister Dr. Rangin Dadfar-Spanta, der türkische Verteidigungsminister, Vecdi Gönül sowie die norwegische Verteidigungsministerin Anne-Grete Strøm-Erichsen und der stellvertretende NATO-Generalsekretär, Claudio Bisogniero ihre Sicht auf die internationale Sicherheitspolitik. Verteidigungsminister Franz-Josef Jung räumte zunächst eine verschärfte Sicherheitslage in Afghanistan ein und bestätigte Berichte über erneute Angriffe auf Bundeswehrsoldaten in Nordafghanistan am vorausgegangenen Wochenende. Eine Patrouille der in Mazar-i-Sharif stationierten Schnellen Eingreiftruppe sei angegriffen und das deutsche Feldlager in Kundus beschossen worden. Verwundete oder Tote gab es auf deutscher Seite keine. Jung stellte diese Anschläge in Zusammenhang mit der für Mitte Oktober erwarteten Bundestagsentscheidung über die Ausweitung des ISAF-Einsatzes.

Mehr zivile Hilfe für Afghanistan

Jung warnte vor einer Reduzierung des deutschen Engagements und ging auf die am Morgen vom Kabinett beschlossene neue Afghanistan-Strategie ein, die auf eine engere Verbindung von militärischen und zivilen Hilfen setzt. Die finanzielle Hilfe werde in diesem Jahr von 100 auf 140 Millionen Euro aufstockt und die Obergrenze für deutsche Truppen am Hindukusch von 3500 auf 4500 Mann angehoben. Jung betonte die Notwendigkeit einer stärkeren zivilen Hilfe für Afghanistan und fordert mehr Eigenverantwortung für das Land. „Wir müssen dem Prozess ein afghanisches Gesicht geben (...) Militärisch werden wir den Prozess nicht gewinnen“, sagte er. Gut einen Monat vor der Bundestagsentscheidung zur Verlängerung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr stellte Jung fest, dass die Debatte „sehr einseitig unter militärischen Gesichtspunkten geführt“ werde. „Wir haben die gemeinsame Aufgabe, weiter einen Beitrag zu leisten für eine friedliche Entwicklung in diesem Land“, betonte er. Dies liege nicht zuletzt im Interesse der deutschen Bevölkerung. Jung erinnerte daran, dass die Terroranschläge vom 11. September 2001 auf New York und Washington von Afghanistan ausgegangen seien. Zum 7. Jahrestag dieser Angriffe müsse Einigkeit darüber herrschen, dass Afghanistan „nicht wieder zurückfällt in ein Ausbildungscamp für Terroristen“. Durch das am Morgen beschlossene erweiterte Afghanistan-Konzept der Regierung würden zusätzlich 30 Millionen für Nahrungsmittelhilfen aus dem Entwicklungshilfebudget bereitgestellt. „Wir wollen unseren Ansatz der vernetzten Sicherheit weiterentwickeln“, sagte der Verteidigungsminister weiter. Er betonte zudem, dass man weiterhin nicht von einem Krieg in Afghanistan sprechen wolle. „Die deutsche Bevölkerung versteht unter Krieg etwas anderes. Die Soldaten sind in einem Stabilisierungseinsatz. Sie schützen, sie vermitteln, aber sie müssen auch kämpfen“.

Afghanische Armee wird weiter verstärkt

Afghanistans Außenminister Dadfar-Spanta begrüßte die verstärkten Hilfen für sein Land. Angesichts des nahenden Winters seien gerade die Nahrungsmittelhilfen entscheidend. Sein Land sei nicht allein in der Lage, die Lebensmittelsicherheit zu garantieren. „Wir brauchen hier schnelle Hilfe der internationalen Gemeinschaft“, sagte der afghanische Minister. Zugleich kündigte er an, dass Afghanistan die Sicherheit und die Terrorbekämpfung stärker in die eigene Hand nehmen wolle. Geplant sei dafür, die auf bislang 80 000 Mann festgesetzte nationale Armee (ANA) auf 130 000 Soldaten auszubauen. Er forderte dafür mehr Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe, von schweren Panzern bis zum Aufbau einer eigenen Luftwaffe. Jung wies darauf hin, dass Deutschland die Hilfe zur Ausbildung der afghanischen Streitkräfte verdreifachen und künftig in sieben Einheiten Hilfe leisten werde. Damit werde es möglich sein, 7500 afghanische Soldaten auszubilden. Zudem solle es mehr Ausbilder für Armee und Polizei geben sowie Hilfen für den Ausbau der Justiz. Mit dieser Unterstützung solle auch der Drogenanbau von den Afghanen selbst besser bekämpft werden können.

Kritik an Pakistan

Vor den rund 300 Teilnehmern der diesjährigen Handelsblatt Konferenz „Sicherheitspolitik und Verteidigungsindustrie“ griff Dadfar-Spanta Pakistan scharf an und kritisierte zugleich die Politik in Afghanistan. Pakistan unterstütze mit Militär und Nachrichtendiensten den internationalen Terrorismus, stellte der afghanische Minister fest. Extremismus und Terrorismus seien Instrumente der pakistanischen Außenpolitik. Pakistan zu vertrauen, sei eine falsche Politik gewesen. Dadfar-Spanta sagte weiter, der schwerste Fehler Afghanistans sei gewesen, keine Gesamtstrategie für das eigene Land zu entwickeln, es gebe konkurrierende und kurzsichtige Ansätze: „Wir haben die Herausforderungen unterschätzt.“ Frühere Kriegsherren seien auch heute noch zentrale Figuren mit eigenen Armeen. Drogenbosse bekämen wieder die Oberhand und das Terrornetzwerk El Kaida knüpfe neue Verbindungen. International sei es die falsche Strategie gewesen, nur in Afghanistan gegen den Terrorismus zu kämpfen. Dadfar-Spanta mahnte, dass bei einem Scheitern der Bemühungen der internationalen Gemeinschaft nicht nur Afghanistan scheitere, sondern die Region und die ganze Welt. Afghanistans Außenminister beklagte weiter, es gebe keine einheitliche zivil- militärische Strategie für den Wiederaufbau des Landes und trotz der Milliardenhilfen mache sich Ernüchterung breit. „Wir haben uns in den vergangenen Jahren zu stark darauf konzentriert, nur die Symptome des Terrorismus zu bekämpfen“, fasste er die Lage zusammen. Die Erfolge in Afghanistan seien aber unbestritten: In den vergangenen Jahren wurden neun Universitäten errichtet, sechs Millionen Kinder gehen wieder zur Schule, über 4000 Kilometer Straße wurden neu gebaut und das Einkommen der Bevölkerung hat sich verdoppelt. Für Informationsfreiheit sorgen mehr als 300 Zeitungen und Zeitschriften im Land, 16 Fernsehanstalten - davon 15 in privater Hand - sowie 49 Radiostationen. Im Sicherheitsbereich hingegen sei ein NATO-Flickenteppich entstanden, der den Afghanen weitgehend die Verantwortung abgenommen habe. Der Anti-Terror-Kampf werde als Sache der USA angesehen. „Wir haben eine Kultur der Straflosigkeit eingeführt“, räumte Dadfar-Spanta ein und damit die Taliban wieder stark gemacht. Der stellvertretende NATO-Generalsekretär Claudio Bisogniero sagte, auch wenn es nach außen nicht so aussehe - es sei in Afghanistan viel erreicht worden. Solange die NATO in Afghanistan sei, würden die Taliban nicht wieder an die Macht kommen. Er fügte aber hinzu: „Aber wir müssen besser werden.“ Auch Pakistan „kann und sollte mehr tun“.

Drogenanbau bleibt problematisch

Vor allem der Drogenanbau macht den Afghanen Sorgen. Im vergangenen Jahr kamen 87 Prozent der Weltopiumproduktion vom Hindukusch - der Umsatz wird auf 3,1 Milliarden US-Dollar geschätzt. Das ist etwa die Hälfte des Bruttoinlandsprodukt Afghanistans mit 6,7 Milliarden US-Dollar. Eine enge Verbindung von Drogenmafia und Taliban wird vor allem in der südafghanischen Provinz Helmand sichtbar, wo nach afghanischen Angaben 70 Prozent der Drogenproduktion des Landes stattfinden. Zugleich gilt Helmand - an der Grenze zu Pakistan - als „Hauptstadt des Terrorismus“. Vor diesem Hintergrund forderte Dadfar-Spanta härtere Sanktionen der internationalen Gemeinschaft gegen den Nachbarn Pakistan. Vor allem die pakistanischen Geheimdienstinformationen an die Taliban, die sich zumeist aus Paschtunen beidseits der Grenze zusammensetzen, gehen ihm zu weit. „Wir müssen die Sicherheitsdienste in Pakistan zwingen, ihre Verbindung zu den Terroristen zu kappen.“ Ein weiteres ungelöstes Problem seien die Flüchtlinge, auch wenn bereits rund fünf Millionen in den vergangenen Jahren nach Afghanistan zurückgekehrt seien. Von pakistanischer Seite wurde darauf verwiesen, dass bei den Paschtunen „Blutrache“ für getötete Familienmitglieder keine freie Wahl, sondern eine Verpflichtung sei.“ Aus Rachegefühl würden sich immer mehr junge Menschen den Taliban anschließen“, umriss der pakistanische Botschafter in Deutschland , Shahid Ahmad Kamal, das Problem. Er warf seinerseits Afghanistan vor, nicht genug gegen die täglich rund 40 000 unkontrollierten Grenzübertritte im paschtunischen Stammesgebiet zu tun. Einig zeigten sich Dadfar-Spanta und Kamal darin, dass nur mehr zivile Hilfe und mehr wirtschaftlicher Aufbau den terroristischen Sumpf auf Dauer austrocknen könne. Kamal betonte: „Der militärische Sieg der einen Seite ist heute nicht mehr die Niederlage der anderen.“ Der pakistanische Botschafter sagte weiter, er verstehe das Vertrauensdefizit nicht. Er verwies auf den Einsatz tausender pakistanischer Soldaten und Polizisten im Kampf gegen Terroristen.

NATO und EU

„Wir gewinnen diesen Krieg nicht in Afghanistan“ stellte François Heisbourg (Fondation pour la Recherche Stratégique) zu Beginn der Diskussionsrunde über die notwendigen Veränderungen der sicherheitspolitischen Strukturen in der EU und in der NATO fest. Angesichts der jüngsten militärischen Auseinandersetzung zwischen Georgien und Russland habe auch das Verhältnis zu Russland eine neue Dimension erhalten. Der sicherheitspolitische Berater der Bundeskanzlerin, Dr. Christoph Heusgen, betonte, dass die Funktion der NATO als Sicherheitspakt bei aller Notwendigkeit zur Transformation weiterhin von Bestand sei. Auf Terrorismus, regionale Konflikte und instabile Staaten müsse die NATO strategische Antworten finden. Deutlich sprach sich Heusgen für eine gemeinsame EU-Außenpolitik aus. In der aktuellen Georgien-Krise habe die EU íhre Bedeutung gezeigt und trage nun mit den Einsatz von zivilen EU-Beobachtern zur Beilegung der Krise bei. Die außen- und sicherheitspolitischen Ziele des Vertrages von Lissabon seien umzusetzen und auch die Zusammenarbeit von EU und NATO weiter zu formalisieren.

EU muss stärker zusammenarbeiten

Die Europäische Union komme bei der Rüstungszusammenarbeit kaum voran. Es gebe nach wie vor eine mangelnde Kooperationsbereitschaft, sagte der Hauptgeschäftsführer der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA), Alexander Weis. Fünf Jahre nach der politischen Entscheidung auf EU-Ebene habe die Agentur in diesem Jahr ihre volle Arbeit aufgenommen. Ein Grund für die Zurückhaltung der 26 EDA-Mitgliedsstaaten ist nach Einschätzung von Weis der Schutz der nationalen Rüstungsindustrie. Doch müsse den Monopolisten auf dem Rüstungsmarkt als Anbieter ein Zusammenschluss der Konsumenten entgegengestellt werden, um schneller und preiswerter zu Ergebnissen zu kommen. Derzeit werden von der Agentur Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Wert von 200 Millionen Euro verantwortet. „Doch das ist nicht unser Geld, sondern das Geld der Mitgliedsstaaten“, schränkte Weis ein. Angesichts der Riesensummen, die Rüstungsprojekte kosteten, könne kein Staat mehr solche Vorhaben allein umsetzen. Wie sich die europäische Verteidigungsindustrie über transatlantische Rüstungskooperationen im Wettbewerb behaupten könne, diskutierten im weiteren Verlauf der Tagung der Vorstandsvorsitzende von EADS, Louis Gallois und Dr. John J. Hamre (CISIS). Bei künftigen militärischen und friedenserhaltenden Maßnahmen sowie der Entwicklung von Programmen werde ein gemeinsames Vorgehen der westlichen Verteidigungsnationen und zugehöriger Industrie immer bedeutender, betonte auch Neil Hampson, Global Aerospace & Defence Leader von PricewaterhouseCoopers.

Trennung zwischen Polizei und Militär ist überholt

Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble erinnerte an die Auswirkungen des grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandels durch die Globalisierung auf die innere Sicherheit eines Landes. Die großen Veränderungen in der Kommunikations- und Informationstechnologie und das Austragen von regionalen Konflikten in der Weltöffentlichkeit, zögen auch ein Umdenken in der Definition von polizeilichen und militärischen Aufgaben nach sich. „Die alten Trennung ist obsolet geworden“, betonte Schäuble. Die Unterscheidung, ob eine Bedrohung von innen oder von außen käme, sei heute nicht immer eindeutig und damit auch nicht die Zuordnung von polizeilichen und militärischen Leistungen. Der Innenminister gab weiter zu bedenken, dass der bestehende Rechtsrahmen gegenüber Selbstmordattentätern nicht ausreiche. „Die Androhung von Strafmaßnahmen gegenüber Selbstmordattentätern ist relativ wirkungslos“, sagte er.

„Unsere Aufgabe ist es, Sicherheit zu gewährleisten, also Freiheit sicher zu gewährleisten“, betonte der Minister weiter. Da Informationen eine immer größere Bedeutung zukäme, sei man auf die Leistungen der Nachrichtendienste existenziell angewiesen und darum sei auch bei allen Datenschutzbemühungen die Gewinnung von Informationen im eigenen Land unumgänglich. Hier benötige man eindeutige Regeln um Informationen auszutauschen. Die Rechtsordnung müsse an die neuen Formen von Bedrohungen angepasst werden, damit auch weiter verfassungskonform agiert werden könne. „Es darf kein rechtsfreier Raum entstehen“, betonte Schäuble.

Bundeswehr ist kein bewaffnetes Hilfswerk

Aus der Perspektive der Bundeswehr erläuterte der stellvertretende Generalinspekteur der Bundeswehr, Johann-Georg Dora, die notwendige Transformation, um sich auf die veränderte Sicherheitslage einzustellen. Der aktuelle Einsatz von 6500 Soldaten im Ausland zeige die globale Dimension der heutigen Sicherheitspolitik. „Auslands-Einsätze gehören heute zur Normalität der Soldaten“ und der Ansatz einer „vernetzten Sicherheitspolitik“ sei jüngst auf dem Nato-Gipfel unterstützt worden. Dieser vernetzte Ansatz müsse konsequent und koordiniert von allen Beteiligten verfolgt werden. Der ISAF-Einsatz in Afghanistan zeige aber Verbesserungspotenziale auf. In Afghanistan sei bereits viel im zivilen Bereich erreicht worden, aber die zivilen und militärischen Fortschritte müssten stärker Hand in Hand gehen. Dora betonte, dass es zwar keinen Wiederaufbau ohne Sicherheit gäbe, aber die Bundeswehr sei auch kein bewaffnetes Hilfswerk. Die Diskussion, ob der Afghanistan-Einsatz ein Kriegs-Einsatz sei oder nicht, nannte der General nachrangig. Entscheidend sei, dass der Einsatz moralisch begründet und gut koordiniert sei. Auf dem Weg zu mehr Selbstverständlichkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr müsse auch die Bevölkerung mitgenommen werden.

Der Anpassungsprozess der Bundeswehr an die neuen politischen Rahmenbedingungen ziele auf eine Verbesserung der Einsatzfähigkeit durch eine verbesserte Ausbildung und Ausrüstung der Soldaten. „Den berechenbaren Einsatz der Bundeswehr gibt nicht, da die Anforderungen so unterschiedlich sind“, räumte Dora ein. Dennoch hätten sich die neuen Strukturen bereits bewährt und man werde sich weiter auf allen Gebieten weiterentwickeln. Die finanzielle Ausstattung ermögliche nur einen schrittweisen Aufbau und nicht alle Beschaffungen könnten sofort realisiert werden. Dennoch zeige der Einsatz in Afghanistan, dass die Beschaffung mehr Flexibilität benötige und die Zusammenarbeit mit der Industrie wichtiger werde. „Erfolgreiche Transformation heißt auch, schnell und zeitnah einen Bedarf decken zu können“, sagte Dora.

Kleine Länder können sich eine Komplett-Armee nicht mehr leisten

Aus Sicht eines kleinen Landes erläutere der Chief of Defence der norwegischen Armee, General Sverre Diesen, den notwendigen Anpassungsprozess an die neuen Sicherheitsbedingungen. Er erinnerte daran, dass heute keine Länder mehr erobert werden, sondern Bedrohungen indirekt ausgetragen würden. Dennoch mache sich ein nordeuropäisches Land Gedanken über die sicherheitspolitischen Auswirkungen durch das Abtauen der Pole und der so entstehenden neuen Seewege und den Zugang zu neuen Rohstoff-Quellen.

Als kleines Land sei es bereits heute schwer, die Fähigkeit seiner Armee aufrecht zu erhalten. Die Technologiekosten seien sehr hoch und würden sich alle zwanzig Jahre verdoppeln. Außer den Supermächten sei es kaum noch einer Nation möglich soviel Kaufkraft aufzubauen, um die vorhandenen Fähigkeiten zu erhalten und zu modernisieren. „Als kleines Land haben wir das Problem der kritischen Masse“. Darüber hinaus müsse auch gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung getragen werden. In westlichen Gesellschaften werde es nur noch schwer akzeptiert, dass Soldaten sterben und viele junge Männer seien nicht fit oder motiviert genug für einen Einsatz in der Armee. Die Menschen konzentrierten sich heute auf ihre Rechte und sehen sich als Kunden des Staates und nicht als Bürger an. Es fehle an einem Staatsgefühl, das den Einsatz für sein Land und seine Werte motiviere.

Beschaffung gemeinsam gestalten

Strategisch seien heute keine großen Armeen mehr nötig, führte Diesen weiter aus. Die stehenden Heere müssten sich heute vielmehr kurzfristig engagieren können und flexibel sein. Da heute eher kurze Auseinandersetzungen zu bewältigen seien, konzentriere sich Norwegen auf den Aufbau der Marine und der Luftwaffe. Die Komplexität der modernen Rüstungsgüter und die entsprechende Ausbildung erfordere auch eine Hinwendung zum Berufssoldaten. Generell sei die Wehrpflicht zwar beizubehalten, aber die Veränderungen des militärischen Fähigkeitsspektrums zögen mehr Berufsoldaten nach sich. Die Vernetzung der Streitkräfte sei ein weiterer Schwerpunkt des norwegischen Transformationsprozesses. Hier forderte er die Industrie auf, ihren Beitrag zu leisten, denn die Wartung der komplexen Rüstungsgüter sei durch die Streitkräfte nicht mehr zu leisten. Darüber hinaus forderte der General auch kürzere Lieferzeiten. „Die traditionelle Art unsere Fähigkeit auszubauen ist zu langsam“, so Diesen. Die Interaktion zwischen Industrie und Militär gelte es auch in Bezug auf das Kostenbewußtsein auszubauen. „Die kritische Masse wird das Problem sein, zunächst für die kleineren Länder, später auch für die mittleren Ländern“, sagte er. Darum müssten kleine und mittlere Länder neue Verteidigungssysteme entwickeln und stärker in der wirtschaftlichen, strategischen und militärischen Planung kooperieren. Diesen sprach sich für den gemeinsamen Erwerb von wehrtechnischen Gütern aus, um die Leistungsfähigkeiten mit kleineren Etats aufrechterhalten zu können.

Kurzfristige und flexible Beschaffungsstrategie

Tjark Happach (Bundesverteidigungsministerium) schloss sich den Ausführungen von General Diesen an und betonte ebenfalls die Notwendigkeit einer schnellen und flexiblen Beschaffung. Er ergänzte, dass durch die Vielfältigkeit der Einsatzorte und der Bedrohungen auch die Lieferintervalle kürzer werden müssten. Angesichts des engen finanziellen Rahmens für eine weitere Ausdifferenzierung des Ausrüstungsplans, konzentriere sich die Bundeswehr auf Schutz und Aufklärung. Die Bundeswehr setzte weiter auf die eingeleitete kurzfristige Beschaffungsstrategie. Happach folgte General Diesen in der Forderung, die Beschaffung unter den Ländern stärker zu koordinieren und gemeinsame Standards einzuführen, um gemeinsam mit der Industrie Kosteneinsparungen realisieren zu können.

Wie sehr sich die Industrie bereits auf die neuen Bedürfnisse des Militärs eingestellt hat, verdeutlichte Frank Haun, Geschäftsführer von Kraus-Maffei Wegmann. Im Spannungsfeld zwischen Industrie, Einsatz und Armee habe man sich als Industrie bereits neu aufgestellt. Zwischen Industrie und Streitkräften bestehe heute ein Team-Verständnis auf Augenhöhe, dass sich nicht zuletzt auch im gemeinsamen Einsatz zeigen würde. Die Mitarbeit von Kundendienstmitarbeitern im Feldlager für die Wartung sei heute eine Selbstverständlichkeit. Die Industrie habe bereits ihre Lieferzeiten verkürzt und ihre Prozesse beschleunigt. Allerdings fordere der Kunde ein immer höheres Kreativpotenzial. Flexible Lösungen seien immer stärker in interoperative Kontexte eingebunden. „Nicht Mitdenken, sondern Vorausdenken“, sei die Forderung.

Die Weiterentwicklung der internationalen Sicherheits- und Beschaffungsstrategien greift am 15. und 16. September 2009 die 6. Handelsblatt-Jahrestagung „Sicherheitspolitik und Verteidigungspolitik“ in Berlin auf.

 

Quelle: EUROFORUM Deutschland GmbH

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