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Wirtschaftsweise Schmidt: Rettungsschirm ohne Ersatzschirm

Archivmeldung vom 14.05.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 14.05.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Prof. Dr. Christoph M. Schmidt Bild: Julica Bracht, RWI
Prof. Dr. Christoph M. Schmidt Bild: Julica Bracht, RWI

Die EU hat einen gigantischen Rettungsschirm aufgespannt. Der Krisenplan der EU griff zumindest vorerst: Der 750-Milliarden-Schirm beruhigte zunächst die Märkte. Doch schon einen Tag später sackte der Euro-Kurs wieder ab. Experten warnen vor einem bösen Erwachen. ,,Die EU-Finanzminister hätten sich besser auf einen Konsolidierungspakt verständigen sollen", sagte der Wirtschaftsweise Prof. Christoph M. Schmidt im Gespräch mit der Landeszeitung Lüneburg. Dies wäre nachhaltiger gewesen, als eine Schuldenkrise zunächst mit neuen Schulden zu bekämpfen.

Hat Sie das Ausmaß des 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirms überrascht?

Prof. Dr. Christoph M. Schmidt: Ja, diese Größenordnung hat mich überrascht.

Ist der Rettungsschirm alternativlos gewesen?

Schmidt: Das denke ich nicht. Es ist zwar gut und richtig, dass die Euro-Länder signalisiert haben: Wir reagieren rasch und geschlossen auf die Probleme. Die zentrale Frage ist aber nicht, ob der Euro ein schützenswertes Gut ist, sondern welcher Weg zur Stabilisierung der Gemeinschaftswährung der richtige ist. Was man jetzt allerdings macht, ist -- verkürzt ausgedrückt -- die Bekämpfung der riesigen Schuldenkrise mit der Aufnahme neuer Schulden. Die Märkte haben sich zunächst zwar beruhigt, aber diesen Effekt hätte man auch anders und vor allem nachhaltiger erzielen können: Die EU-Finanzminister hätten sich besser auf einen Konsolidierungspakt verständigen sollen. Den Euro-Staaten hätten -- ähnlich dem deutschen Modell -- mit Sanktionen bewehrte Schuldenfesseln auferlegt werden müssen. Das ist aber nicht geschehen. Man hat stattdessen einen gigantischen Rettungsschirm aufgespannt und will dann irgendwann später über einen neuen Pakt reden. Die Frage wird nur sein, wer das nun -- wo die Gefahr vermeintlich vorüber ist -- noch durchsetzen soll.

Aber es musste doch sehr schnell gehandelt werden, weil die Renditen etwa der griechischen Staatsanleihen so schnell gestiegen sind.

Schmidt: Es gibt zwei Phänomene oder Erklärungen für den Anstieg der Renditen. Zum einen sind die betroffenen Staaten so hoch verschuldet, dass die Gläubiger immer stärker verunsichert sind, ob sie ihr Geld zurückbekommen. Das, was wir gerade sehen, ist also möglicherweise nichts anderes als eine Reflexion dieser berechtigten Unsicherheit. Die zweite Erklärung für die steigenden Rendite wird gerade von der Politik vorgebracht: Böse Spekulanten haben sich verschworen, um den Euro in die Knie zu zwingen. Spekulation kann aber im Prinzip nur dann funktionieren, wenn sie auf einer grundsätzlichen Schieflage basiert. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat zwar die Schuldenkrise verschärft, der Grundstein dafür wurde aber in den vergangenen Jahren durch mangelnde Disziplin im Euro-Raum gelegt. Diese mangelnde Disziplin könnte man vertrauensbildend sofort bekämpfen. Man bekommt den Schuldenstand zwar nicht morgen gedrückt. Aber etwa mit einem Fünf-Jahres-Programm könnte man glaubwürdig signalisieren: So bekommen wir die Schulden in den Griff. Keine Anleihe ist gefährdet. Welcher Spekulant sollte dann noch dagegen angehen können? Wenn man diesen Weg gewählt hätte statt eines Rettungsschirmes, hätte man die Maastricht-Verträge nicht brechen oder in Teilen umgehen und keinen Druck auf die EZB aufbauen müssen. Man hat in der ersten großen Krise der europäischen Währungsunion eigentlich alle Verabredungen über Bord geworfen. Und es wird sehr schwierig werden, das wieder einzufangen.

Nicht nur die Euro-Länder, sondern auch die EZB haben eine historische Kehrtwende vollzogen und zwei Tabus der Geldpolitik gebrochen. Die Notenbank kauft nun Anleihen von Staaten mit schlechter Bonität und sogar von privaten Schuldnern. Banken können sich zudem derzeit so viel Geld leihen, wie sie wollen. Ist die EZB zur Gelddruckmaschine notleidender Staaten mutiert?

Schmidt: Deutschland hatte zu D-Mark-Zeiten eine stabile Finanzverfassung mit einer starken, unabhängigen Notenbank, die ausschließlich der Geldwertstabilität verpflichtet war und nicht auf politischen Zuruf agierte. Vor dem Start des Euro wurde verabredet, diese Prinzipien auf die Europäische Währungsunion zu übertragen. Hinzu kam ein Stabilitäts- und Wachstumspakt. Wenn dann die Regierungen ihre Hausaufgaben machen und sich nicht so stark verschulden, funktioniert das System. Die Währungsunion war aber von Anfang an ein ungeliebtes Kind. Jetzt haben etwa die Franzosen triumphiert, dass wir endlich eine Wirtschaftsregierung haben und die Unabhängigkeit der EZB gebrochen worden ist. Die EZB war eigentlich auf einem sehr guten Weg, hatte die Inflation im Griff. Nun hat sie klar einen harten Tabu-Bruch begangen. Es wird sehr schwer, dies wieder zu korrigieren.

Also ist eine steigende Inflation der Preis des Rettungsschirms?

Schmidt: Langfristig geht nur ein Weg an höherer Inflation, weiter ansteigender Verschuldung und an einem schleichenden Niedergang des Euro vorbei: Dass man sich jetzt -- in der teuer erkauften Ruhepause der Märkte --- zusammentut und das Kind Währungsunion sowie die Staatsverschuldung auf neue Füße stellt. Dabei sollte der Stabilitäts- und Wachstumspakt verschärft werden. Die Frage ist allerdings, wie man das verhandlungstechnisch etwa gegen Widerstände in einzelnen Ländern durchsetzen will.

Kann man denn sagen, dass die Währungsunion ohne fiskalische Disziplin auseinanderbricht?

Schmidt: Langfristig wird es schwer sein, eine Union zu halten, in der einige Staaten deutlich mehr zahlen als andere und dabei sehen müssen, dass alte Disziplin-Regeln über Bord geworfen werden. Wenn das zum Dauerzustand wird und auch die EZB immer wieder instrumentalisiert wird, muss man sehr pessimistisch sein.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach der Einigung auf den Rettungsschirm betont: ,,Wir schützen das Geld der Menschen in Deutschland und wir schützen den Euro". Hat gerade die Kanzlerin nicht zu lange gezögert und damit die Rettungsaktion noch teurer gemacht?

Schmidt: Ich bin sehr enttäuscht vom Ausgang der Verhandlungen. Aus meiner Sicht wäre es vernünftig und notwendig gewesen, sich die Zustimmung und die Mittel des Rettungsschirmes nur im Gegenzug zu einer Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, strikterer Einhaltung von Regeln und eines Konsolidierungspaktes ,,abkaufen" zu lassen. Dies ist leider nicht geschehen. Und wenn man die Stabilitätsanker der Währungsunion ohnehin nicht durchsetzen kann, war das Zögern in der Tat teuer. Ich habe den Eindruck, dass der Druck auf Deutschland von außen künstlich aufgebaut worden ist, damit wir einer Regelung zustimmen, die wir eigentlich nicht haben wollen.

Plädieren Sie für eine europäische Rating-Agentur?

Schmidt: Ich würde den Rating-Agenturen nicht so viel Gewicht beimessen, wie es zuletzt geschehen ist. Sie hatten große Interessenkonflikte bis zum Ausbrechen der Finanzkrise. Ich bin skeptisch, ob das eine europäische Agentur wirklich besser macht. Bei der Beurteilung von Unternehmen können Rating-Agenturen auf eine breite Datenbasis zurückgreifen. Bei der Beurteilung von Staatsanleihen bzw. von Staaten gibt es keine solche breite Basis, denn es ist eben nicht alltäglich, dass ein Staat pleitegeht. Hier kommt es zwangsläufig zu einer Scheingenauigkeit der Ratings; man hätte sie öfter kritisch hinterfragen müssen.

Was hat sich als bisheriges Resümee der Krise stärker gerächt: Der unterlassene Kampf gegen Spekulanten oder die Tatsache, dass der Euro ohne eine Wirtschaftsunion auf die Welt gebracht wurde?

Schmidt: Aus meiner Sicht ist der größte Fehler der vergangenen Jahre, dass man den Weg in den Schuldenstaat nicht vermieden hat. Es gibt zwei Vorstellungen von einer funktionierenden Währungsunion: Die härtere Regelbindung, die uns Deutschen bei der Aufgabe der D-Mark versprochen worden war. Die zweite basiert auf starkem Eingreifen in die Märkte. Wir hatten gute Gründe dafür, dass wir eine harte Regelbindung mit einer unabhängigen Notenbank haben wollten. Diejenigen, die jetzt triumphieren, sind auf dem falschen Weg.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (Interview Werner Kolbe)

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