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Nahostreporter Jörg Armbruster fürchtet, dass der Arabische Frühling in einer Tragödie endet

Archivmeldung vom 01.11.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 01.11.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Jörg Armbruster bei der Preisverleihung des Hanns-Joachim-Friedrich-Preises 2013
Jörg Armbruster bei der Preisverleihung des Hanns-Joachim-Friedrich-Preises 2013

Foto: Superbass
Lizenz: CC-BY-SA-3.0
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Die Staatengemeinschaft reagierte lange kopflos auf die Errichtung eines Islamischen Kalifats in Syrien und Irak. Der ehemalige ARD-Nahostkorres-pondent Jörg Armbruster kritisiert, dass der Westen die geistige Nähe zwischen dem wahabitischen Islam Saudi-Arabiens und dem IS übersieht. Als Ordnungsmacht falle der Westen aus. Nur Riad und Teheran könnten ein Übergreifen des sunnitisch-schiitischen Konfliktes auf weitere Staaten verhindern. Syrien und dem Irak drohe so oder so der Zerfall.

Sie selbst wurden im März 2013 angeschossen, dutzende Kollegen erschossen, zuletzt wurden einige Kollegen enthauptet, um Stoff für den Propagandakrieg des IS zu liefern. Können westliche Kriegsberichterstatter nur noch mit privaten Sicherheitsdiensten nach Syrien geschickt werden, wie dies angelsächsische Sender tun?

Jörg Armbruster: Das würde ich nicht empfehlen. Wenn ich den Menschen als Journalist gegenübertrete, muss ich dies möglichst offen tun ohne Bodyguards. Anderenfalls signalisiere ich, dass ich mein Gegenüber als Gegner empfinde, dem man misstrauen muss, und nicht als Mensch, mit dem ich reden möchte. Kriegsberichterstattung mit Sicherheitsdiensten ist keine Grundlage für einigermaßen wahrhaftigen Journalismus.

Sie wurden in Aleppo angeschossen. Sollte der IS Kobane erobern, würde er ein Gebiet zwischen Mossul und den Vororten Aleppos kontrollieren. Würden Sie heute - ohne die Vorgeschichte Ihrer Verwundung - noch in die Region reisen?

Armbruster: Man kann wohl noch in einige Städte, die südlich und nahe der türkisch-syrischen Grenze liegen, reisen. Ich weiß, dass einige Kollegen noch nach Aleppo gefahren sind und brillante Reportagen mitgebracht haben. Aber ich persönlich würde es nicht mehr machen. Denn dort ist das Risiko, entführt zu werden, viel zu groß. Die Terroristen des Islamischen Staates lauern nur auf westliche Berichterstatter, um sie und damit Druckmittel gegen westliche Staaten in die Hand bekommen zu können.

Ist die Enthauptungsserie des IS eine neue Qualität in Sachen Gewalt gegen Journalisten?

Armbruster: Diese Art von Gewalt hat es immer wieder gegeben. Nach 2003 im Irak beispielsweise. So wurde der Geschäftsmann Nicholas Berg von Abu Mussab al-Sarkawi persönlich geköpft, dem Gründer der Organisation, die sich heute Islamischer Staat nennt. Die Gewalt hat es schon immer gegeben, doch dass sie so strategisch und so systematisch eingesetzt wird, hat schon eine neue Qualität.

Wie haben Sie sich inzwischen erholt von Ihren Verletzungen?

Armbruster: Ich habe mich sehr gut erholt. Die rechte Hand kann ich benutzen, wenn sie auch nicht mehr hundertprozentig einsatzfähig ist. Aber ich kann damit sehr gut leben.

Mittlerweile geloben sogar pakistanische Taliban dem IS die Treue. Erleben wir eine Machtübernahme von Al-Kaida zum IS, der ja bereits staatsähnliche Strukturen ausbildet?

Armbruster: Innerhalb der Taliban ist es zu einem heftigen Konflikt gekommen. Ein Teil hätte sich gern dem IS untergeordnet. Aber in der Tat erleben wir, wie sich in den Terrororganisationen eine neue Qualität herausbildet. Es gibt nicht länger einen Mastermind, der sich in den Höhlen des Hindukusch versteckt. Sondern wir erleben eine nach ihren Maßstäben sehr erfolgreiche Terrororganisation, die sehr attraktiv auf Dschihadisten in anderen Ländern ist. Ich glaube zwar nicht, dass Bagdadi, der selbsternannte Kalif von Mossul, so etwas wie ein weltweit agierender Stratege des Terrors ist. Aber der IS ist nach seinem Siegeszug so attraktiv, dass sich andere Terrororganisationen gerne unterordnen. So war die widerliche Hinrichtung des französischen Bergsteigers Hervé Gourdel in Algerien als so etwas wie eine Morgengabe der algerischen Islamisten an den Islamischen Staat gedacht gewesen.

Syrien versinkt in einem blutigen Krieg mit vielen Fronten, Libyen droht zu zerbrechen, Ägypten wird zur Militärdiktatur. Endet der Arabische Frühling als Tragödie?

Armbruster: Bis auf Tunesien. In allen anderen Ländern ist dies zu befürchten. In Ägypten beobachten wir noch etwas anderes. Neben der sich in der Tat ausbildenden Militärdiktatur, von der mir Freunde berichtet haben, dass es bereits schlimmer sei als unter Mubarak, erstarkt eine Terrorbewegung auf dem Sinai. Sie liefert mit ihren Anschlägen der Militärregierung in Kairo die Gründe, die Repression noch weiter anzuziehen. Wir erleben insgesamt im Nahen Osten erstarkende Terrorbewegungen - vor allem dort, wo staatliche Strukturen zusammenbrachen.

Wird der Islamische Staat im Westen auch unterschätzt, weil hier seine Verankerung im wahabitischen Islam Saudi-Arabiens und seine klammheimliche Förderung durch die Türkei ignoriert wird?

Armbruster: Das wäre fatal, ist kaum vorstellbar. Aber in der Tat gibt es eine enge geistige Verbindung zwischen dem wahabitischen Islam, der in Saudi-Arabien zur Staatsreligion erklärt worden ist, und der Ideologie des IS. Saudi-Arabien ist eine Art Ideenlieferant für alle dschihadistischen Gruppen, auch wenn Riad dies vielleicht gar nicht will. Aber solange der wahabitische Islam nicht von Muslimen selbst hinterfragt wird, bleibt er ein Nährboden für Dschihadisten. Die Türkei spielt eine ganz andere Rolle. Sie sollte vom Westen als NATO-Partner vermutlich in Ruhe gelassen werden. Zudem hatte man sich wahrscheinlich eine effektive Bekämpfung, wenn nicht den Sturz von Assad erhofft. Da aber die Türkei sowohl den Al-Quaida-Ableger Al-Nusra-Front als auch den IS duldete, wenn nicht sogar förderte, trägt Ankara eine Mitschuld.

Kann die mit Riads Petro-Dollar gespeiste Missionierung für den radikalen Wahabismus noch hinterfragt werden oder ist der moderate sunnitische Islam bereits aus der Region verdrängt?

Armbruster: Das glaube ich nicht. Ägypten, Tunesien, Jordanien oder auch einige kleine Golf-Scheichtümer sind als moderat anzusehen. Gleichwohl wird der wahabitische Islam derzeit in vielen anderen Ländern mit Gewalt durchgesetzt.

Der IS führt einen echten Vernichtungsfeldzug gegen andere Religionen und nicht-sunnitische Glaubensrichtungen. Hat diese quasi-religiöse Kriegsmaschine Parallelen zum nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzug?

Armbruster: Das sehe ich nicht so. Ein derartiger Vergleich hinkt, da der Nationalsozialismus eine einzigartig grausame Ideologie war. Aber der IS versucht tatsächlich, alles von seiner Linie Abweichende zu verfolgen. Das gilt für Schiiten, Christen, Jesiden, aber auch für gemäßigte Sunniten.

Droht in der Region ein neuer 30-jähriger Glaubenskrieg, diesmal zwischen Sunniten und Schiiten?

Armbruster: Ich will es nicht hoffen. Will man den syrischen Konflikt lösen, müssen sich das sunnitische Schwergewicht Saudi-Arabien und die schiitische Vormacht Iran an einen Tisch setzen. Danach sieht es im Moment leider nicht aus. Wenn man das Übergreifen auf weitere Länder verhindern will, etwa die Türkei oder vor allem den Libanon, müssen Riad und Teheran auf ihre jeweiligen Klientel an der Front einwirken. Der Westen ist da einigermaßen hilflos. Aber ob der Krieg nun 30 oder nur fünf Jahre dauern wird, spielt für Syrien und den Irak kaum eine Rolle. Beiden Staaten droht die völlige Zerstörung.

Wäre eine syrische Lösung vorstellbar unter Einschluss des Baath-Regimes, aber ohne Assad?

Armbruster: Das könnte in der Tat ein Weg sein. Dann bliebe aber noch die Frage, was mit den dschihadistischen Bewegungen geschehen soll, die versuchen würden, eine solche Lösung zu torpedieren. Allerdings halte ich es nicht für sehr wahrscheinlich, dass der Assad-Clan von der Macht lässt.

Sie waren auf dem Tahrir-Platz, als der Jubel über den Rücktritt von Präsident Mubarak losbrach. Mittlerweile ziehen die alten Eliten in Ägypten wieder die Fäden, verfolgen die Muslimbrüder. Entwickelt sich hier die nächste Brutstätte für Terrorismus, weil staatliche Strukturen Gefahr laufen, zu bröckeln?

Armbruster: Ich glaube nicht so sehr, dass in Ägypten die staatlichen Strukturen schwächeln könnten. Aber es ist noch nie gelungen, durch Repressionen, durch eine neue Diktatur solche terroristischen Bewegungen in den Griff zu kriegen. Im Gegenteil: Je mehr Repression, je mehr andersdenkende Menschen verfolgt werden, desto mehr tauchen sie in den Untergrund ab. Bis 2013 hatten die Muslimbrüder mit den Dschihadisten auf dem Sinai wenig gemein. Aber ich kann heute nicht mehr ausschließen, dass sich junge Muslimbrüder unter dem Eindruck von Verfolgung und Folter solchen Dschihadisten anschließen. Aber Repression besiegt den Terror nicht, sondern zeugt neuen Terror.

Das Interview führte Joachim Zießler

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)

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