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Völkerrechtler Prof. Luchterhandt zum russisch-ukrainischen Gas-Konflikt: Imperialer Kurs als einzige Konstante

Archivmeldung vom 02.01.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 02.01.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Moskau dreht der Ukraine den Gashahn zu, Putin verkündet das Ende des "billigen Erdgases", Medwedew startet ein milliardenschweres Aufrüstungsprogramm. Die Schuld für die Finanzkrise, die Russland stärker als andere Nationen beutelt, sieht der Kreml in den USA.

Europa muss seine politische Kultur exportieren, wenn Russland ein verlässlicher Partner werden soll, meint der renommierte Hamburger Völkerrechtler Prof. Luchterhandt.

Nirgends stürzten die Aktienkurse so stark ab wie in Russland. Das Land wurde als erstes G-8-Mitglied in der Kreditwürdigkeit herabgestuft. Erhält Putin jetzt die Lektion, dass der Rechtsstaat kein Luxus, sondern Geschäftsgrundlage der Stabilität ist?

Prof. Otto Luchterhandt: Eine solche Sicht der Dinge wäre eine Überinterpretation. Die besonders starken Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise gründen darin, dass Russland noch immer über eine Transformationsökonomie, also noch nicht über eine voll entwickelte Marktwirtschaft verfügt. Insbesondere das Finanzsystem steckt -- nach europäischen Standards -- noch in den Kinderschuhen. In Russland gibt es zu viele Banken ohne ausreichende Kapitaldecke und Reputation. Die Krise wirkt bereinigend, die Zentralbank nimmt viele illiquide gewordene Finanzinstitute vom Markt. Aber es gibt noch ein sehr ernstes, mit der Rechtsstaatsschwäche verbundenes Prob"lem: das ist das Misstrauen der Bürger gegenüber den ungewohnten Institutionen des Kapitalismus und das Misstrauen des Staates gegenüber seinen Bürgern. Diese wechselseitige Reserviertheit ist eine schlechte Basis für die Bewältigung der Krise.

Wandelt sich dieses Misstrauen der Bürger in sozialen Sprengstoff um oder üben sich die Russen in Gleichmut?

Prof. Luchterhandt: Gleichmütig reagieren die Russen nicht, aber die Krise ist noch nicht in vollem Umfang in das öffentliche Bewusstsein gedrungen. Die Ausnahme ist der Mittelstand -- diese noch ziemlich dünne, aber wachsende Schicht, die bereits 1998 beim Rubel-Crash einen Großteil der Ersparnisse eingebüßt hatte. Zwar erholte sich der Mittelstand in der ersten Amtszeit Putins, den Jahren des vom Gasexport befeuerten Booms. Nun ist der Staat gefordert, diese für die Entwicklung Russlands strategisch wichtige Schicht zu schützen. Doch oft geht es nicht über Lippenbekenntnisse hinaus. So weigerte sich Putin trotz Protesten insbesondere in der Region um Wladiwostok, die Importsteuer für ausländische Autos zu kippen. Diese verteuert vor allem japanische Wagen, von deren Import in Fernost viele leben und die Statussymbole der Mittelschicht sind. Die Luxuskarossen ausgerechnet der unpopulären "Oligarchen" unterliegen vergleichbaren Importrestriktionen dagegen nicht. Das schürt ebenso Konfliktpotenzial wie der massive Rückgang des Wohnungsbaus infolge der he"reingebrochenen Finanz- und Immobilienkrise und die an Unterfinanzierung und Korruption leidenden Bereiche Gesundheit und Bildung . Infolgedessen haben sich auch die ohnehin starken Spannungen zwischen russischen Arbeitnehmern und "Gastarbeitern" -- ein deutsches Lehnwort, das Eingang in die russische Sprache fand --, also Arbeitsmigranten vor allem aus den mittelasiatischen Staaten, gefährlich erhöht.

Rechtsstaatlichen Verhältnissen wollte sich der Kreml über die Bekämpfung der Korruption annähern. Mit Erfolg?

Prof. Luchterhandt: Nein. Und die Erfolgsaussichten dieser von Präsident Medwedew nach seinem Amtsantritt gestarteten Initiative sind sehr gering. Er hat sicher den ehrlichen Willen und das Fachwissen -- er unterrichtete lange Zivilrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Petersburg --, aber die historischen Hypotheken sind zu groß. Der Sumpf, den es trockenzulegen gilt, ist einfach zu gigantisch. Zwar hat Medwedew ein Gesetzespaket vorgelegt, das systemisch ansetzt, also Gegenmaßnahmen im Staatsdienst, Steuerrecht, Zollwesen, bei der Entlohnung und natürlich im Straf- und Ordnungswidrigkeitsrecht usw. vorsieht. Aber die Komplexität des Phänomens einer seit Jahrhunderten verwurzelten Korruption wie auch das strukturelle Handicap fehlender Gewaltenteilung machen selbst einen mittelfristigen Erfolg eher unwahrscheinlich. Putin hat die unter Jelzin entstandenen Elemente von Pluralismus -- regierungsunabhängige Presseorgane und Fernsehprogramme, eine die Regierung kontrollierende Staatsduma, einen von den Regionen beherrschten, selbstbewussten Föderationsrat -- beseitigt oder marginalisiert. Im Ergebnis herrscht eine allmächtig gewordene Exekutive, der Beamtenapparat. Wenn Bürokraten aber die Korruption bekämpfen sollen, wird der Bock zum Gärtner gemacht. Das hat noch nie funktioniert. Schließlich bilden sie das Prob"lem, nicht dessen Lösung. Korruption wird in Russland solange den Alltag beherrschen, bis der Rechtsstaat über eine funktionierende Gewaltenteilung eine neue Chance bekommt und durch eine erstarkende Zivilgesellschaft sozial unterfüttert wird .

Welche Chance auf eine Zivilisierung hat Russland, wenn Justiz und Presse von der Exekutive an die Wand gedrückt werden?

Prof. Luchterhandt: Die Perspektiven für eine rechtsstaatliche Entwicklung Russlands haben sich während der zweiten Amtszeit Putins dramatisch verschlechtert -- und unter Medwedew nicht verbessert. Unter den Bedingungen der Wirtschaftskrise ist der Kreml bestrebt, die Grundlagen des unter Putin geschaffenen, staatskapitalistischen Systems zu bewahren, also den strategischen Einfluss des Staates in der Wirtschaft zu sichern. Davon profitieren vor allem die Staatsunternehmen und die mit ihnen verfilzten Oligarchen. Für die strategische Ressource einer funktionierenden Marktwirtschaft, den Mittelstand, fehlt, das zeigt derzeit Putins Krisenmanagement, das Geld. Entwi"ckelt Russland aber keinen sich selbst tragenden Mittelstand, wird es kein vollwertiges G-8-Mitglied werden, geschweige denn bis 2020 zur fünftgrößten Wirtschaftsmacht aufrücken, wie es Putin als Ziel ausgegeben hat. Bisher ist es Russland nicht gelungen, die Drittwelt-Struktur seiner Wirtschaft, eines rohstoffproduzierenden Staates, abzulegen und das produzierende Gewerbe zu stärken. Im Gegenteil: Seit Beginn der Krise tendiert das Wachstum indus"trieller Fertigprodukte gegen Null.

Trotz Finanzkrise kündigte Medwedew ein üppiges Rüs"tungsprogramm an. Konnte Russland seine Abhängigkeit von der Schwerindustrie immer noch nicht verringern?

Prof. Luchterhandt: Ja, hierbei muss man berücksichtigen, dass die Rüstungspolitik aufs engste mit der Außenpolitik verbunden ist. So knüpft Russland in Lateinamerika an alte sowjetische Kontakte an. Die Beziehungen zu Kuba und Nicaragua werden intensiviert, ebenso die zu Venezuela und Bolivien, die beides wichtige Gas-Produzenten sind. Außenpolitik ist für den Kreml auch Rüstungsexportpolitik. Zu den Waffenkäufern zählen auch Nationen wie Algerien, Libyen und der Iran, alles Staaten, die Mitglieder der Gas-OPEC sind, die am 23. Dezember gegründet worden ist. Hier bündeln sich die Interessen des Militärisch-Industriellen-Komplexes.

Putin drohte an, dass die Ära des billigen Gases vorbei sei. Wird Gas die neue strategische Waffe Russlands?

Prof. Luchterhandt: Wohl kaum. Dazu unterscheidet sich der Gas-Markt strukturell zu sehr vom Erdöl-Markt. Während letzterer von Angebot und Nachfrage geprägt wird, sind das Hauptkennzeichen des Gas-Marktes langfristige, bis zu 20 Jahre währende, bilaterale Lieferverträge. So gilt Deutschland einigen Experten aufgrund seiner Verträge mit Gazprom im Bereich Erdgas als strategisch gesichert. Knappheit drohte nur, wenn die Verträge einseitig aufgekündigt würden, wofür im Moment nichts spricht. Zudem ist der Erdgas-Preis mittelbar an den Ölpreis gekoppelt. Diese Verknüpfung deutet angesichts fallender Ölpreise im Moment nicht auf die Gefahr explodierender Gas-Preise hin.

Die langfristigen Lieferverträge gründen sich auf den physikalischen Eigenschaften von Gas, für dessen Transport Pipelines nötig sind. Gibt es Bestrebungen in der Gas-OPEC, den Anteil des Flüssiggases zu erhöhen, das mittels Tankern frei auf dem Weltmarkt verkauft werden kann?

Prof. Luchterhandt: Ja. Im Mai 2007 formulierten die Gas-Exportländer in Doha/Katar das Ziel, den Anteil des Flüssiggases am Export von jetzt einem Viertel deutlich zu erhöhen. Einer stärkeren Koordinierung dieser neuen Allianz steht allerdings die extreme Heterogenität ihrer Mitgliedsländer entgegen. Aber die Gefahr einer künftigen möglichen Erpressbarkeit hängt auch von den Verbraucherländern ab. Erzwingt der Klimawandel eine Energiewende, verringert sich unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen drastisch.

Noch vor Amtsantritt Oba"mas rasselt der Kreml mit dem Säbel. Warum ist der geplante Raketenschutzschild ein solcher Stachel im Fleische des russischen Bären?

Prof. Luchterhandt: Das ist in der Tat rätselhaft, weil selbst russische Militärs einräumen, dass von der geplanten Stationierung von Abfangraketen in Polen für Russland keine Gefahr ausgehe. Die geplante Aufstellung von Raketen im Kaliningrader Gebiet muss wohl vor allem als außenpolitisches Warnsignal gewertet werden, nicht mehr dem Kurs der Bush-Administration zu folgen und auf russische Befindlichkeiten wirklich Rücksicht zu nehmen. Anders verfuhren die USA aber bekanntlich im Falle der Anerkennung des Kosovo, bei ihrem Kurs der NATO-Ausdehnung auf den Raum der GUS, bei der Stationierung eigener Truppen in Mittelasien oder beim Bau von Erdölpipelines durch den Südkaukasus zum Kaspischen Meer unter Umgehung russischen Gebietes.

Würde eine geschmeidigere Rhetorik Obamas den Kreml wirklich beruhigen oder plant dieser ein "Roll back" des NATO-Einflusses in seinem Hinterhof?

Prof. Luchterhandt: Hier befinden sich sowohl Russland als auch die USA in einem Dilemma. Die Amerikaner haben eine langfristig angelegte Außenpolitik, zu deren Konstanten die Isolierung Irans, die Sicherung Israels und die Stärkung der US-Position in Zentralasien zählen. Mit dieser Agenda wird Washington nicht auf Georgien verzichten wollen, als strategisch wichtiges Durchgangsland für Pipelines vom Kaspischen Meer nach Europa. Und das bringt die USA in einen unvermeidlichen Interessenkonflikt mit Russland, das auf die Respektierung seiner Einflusssphäre pocht. Insbesondere der Südkaukausus ist von fundamentaler Bedeutung, weil der russische Nordkaukasus immer instabiler wird. Moskau hat die historische Erfahrung nicht vergessen, dass bei Schwächephasen im Zentrum die Peripherie seiner Kontrolle entgleitet. Und in diesem Fall ist die NATO an den Grenzen eine ernsthafte Bedrohung für den Zusammenhalt des Landes, nämlich als eine Alternative, der sich die Völker der Peripherie anschließen können. Auch Russland denkt langfristig. Und die einzige Konstante seiner Politik ist seit Peter dem Großen die imperiale Tradition.

Gibt es für den Westen unter diesen Bedingungen eine Chance, das zarte Pflänzchen Rechtsstaatlichkeit in Russland zu hegen?

Prof. Luchterhandt: Unmittelbar kann der Westen gar nichts tun. Langfristig muss er für eine stärkere Präsenz europäischer Kultur, auch politischer Kultur, in Russland sorgen. Das Bewusstsein dafür muss vermittelt und gestärkt werden, dass Konflikte nicht mit Gewalt, sondern rechtsstaatlich durch stabile Institutionen und geregelte Verfahren zu lösen sind. Das würde vor allem auch dem Mittelstand nützen. Diese Keimzelle einer zivilisierteren Gesellschaft muss gestärkt werden. Gelingt dies nicht, bleibt Russland für Europa ein sehr schwieriger Partner.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg

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