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Afghanistan-2014: davor und danach - Nicht im Krieg wie im Krieg

Archivmeldung vom 19.04.2013

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.04.2013 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: Collage: Stimme Russlands
Bild: Collage: Stimme Russlands

„Sechs Jahre nach dem Anschlag quälen ihn Albträume, in denen er wieder und wieder erlebt, was er zu vergessen glaubte. Schreie der verwundeten Kameraden im Bus. Er wacht atemlos auf, schweißgebadet, schreckensstarr. Auf der Autobahn attackieren ihn urplötzlich Flashbacks, wenn er eine Unfallstelle passiert. Nie wieder ist er seit Kabul mit einer Bahn, einem Taxi, geschweige denn mit einem Bus gefahren. Es ist die Angst vor Kontrollverlust, die ihn davon abhält.“

Das Zitat stammt aus dem Buch des Kriegsschriftstellers und Journalisten Marco Seliger „Sterben für Kabul – Aufzeichnungen über einen verdrängten Krieg“, das unlängst in Deutschland erschienen ist. Major der Reserve, ehemaliger Presseoffizier in Afghanistan und Vizepräsident des Reservistenverbands der Bundeswehr, leitet er heute die Kriegszeitschrift „Loyal”. In seinem Buch liefert Seliger ein unparteiisches Bild des Geschehens am Hindukusch. Und zwar aus der Sicht der Soldaten, unter denen er mehrere Tage verbracht hat. Mit dem Zitat aus dem Buche ganz am Anfang ist einer von ihnen gemeint. Der Kerl, beim Anschlag der illegalen Kämpfer auf einen Bundeswehrbus überlebt ist, leidet an dem sogenannten posttraumatischen Belastungssyndrom. Wohlbekannt ist das „Post Vietnam Syndrome“ bei ehemaligen amerikanischen „GI“, die den Krieg in Vietnam mitgemacht haben. Nun ist das afghanische Belastungssyndrom dazugekommen.

An einem Dezembertag 2010, im Vorfeld von Weihnachten, berichteten die deutschen Medien von dem nicht angekündigten Besuch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Afghanistan. Sein Zweck war laut der Zeitschrift „Der Spiegel” einfach: sich bei den deutschen Soldaten zu bedanken, ein weiteres Mal die Wichtigkeit ihrer Mission zu betonen und ihnen Weihnachtsgeschenke zu überreichen. Dies alles wurde auch erfüllt. Dann aber kam es zu einer Sensation: Als sie im Bundeswehrlager in Kunduz auftrat, ließ Merkel den offiziellen Ton plötzlich fallen und sagte, aus ihren Emotionen kein Hehl machend: „Wir haben hier nicht nur kriegsähnliche Zustände, sondern Sie sind in Kämpfe verwickelt, wie man sie im Krieg hat. Das ist für uns eine völlig neue Erfahrung. Wir haben das sonst von unseren Eltern gehört im Zweiten Weltkrieg.“

Übrigens ist Merkels Äußerung in Kunduz nicht ganz sensationell zu nennen. Wenige Monate vordem hatte sie bereits Ähnliches gesagt, und zwar bei der Trauerfeier im niedersächsischen Selsingen, sich von drei getöteten Bundeswehrsoldaten verabschiedend, die ebenfalls bei Kunduz aus dem Hinterhalt angegriffen worden waren. Im Völkerrecht nennt man das, was in Afghanistan in weiten Teilen herrscht, einen lokalen bewaffneten Konflikt, so Merkel. „Die meisten Soldatinnen und Soldaten nennen es Bürgerkrieg oder einfach nur Krieg. Und ich verstehe das gut“, sagte abschließend die Frau Bundeskanzlerin.

Anschließend erhob sich unter Experten eine Diskussion darüber, ob das Geschehen in Afghanistan ein Krieg sei. Juristen bezeichnen Lebenserscheinungen selbstverständlich mit Fachausdrücken aus rechtlichen Dokumenten. Einer aber, der unter Feuer gerät oder zum Ziel eines Terroranschlags wird, denkt an keine Bezeichnungen. Ihm kommt es auf die Rettung seines Lebens an. Wie die Medien mit Bezug auf die Angaben der Verteidigungsministerien der USA und Großbritanniens berichten, haben die Streitkräfte der internationalen Koalition nach dem Stand vom April 2013 in der Operation „Enduring Freedom“ 3.280 Tote zu verzeichnen. Die Verluste der USA machen 2.192 Tote und 18.404 Verletzte aus. Großbritannien hat 441, Frankreich 86 und Deutschland 53 Armeeangehörige verloren.

Die Verwundetenzahl übersteigt in der Regel die der Getöteten um das Zehnfache, manchmal noch mehr. Dabei geht es um die offensichtlichen Wunden. Jedoch sind die unsichtbaren Wunden, wie sich herausgestellt hat, womöglich noch schlimmer. Im vergangenen Jahr hat die britische „The Guardian” von dem tragischen Schicksal des 23jährigen amerikanischen Infanteristen William Busbee berichtet, der aus Afghanistan heimgekehrt war. Er wusch sich ununterbrochen die Hände, um das angeblich darauf klebende Blut fortzukriegen. Letzten Endes schoss er sich in den Kopf vor den Augen der Mutter und der Schwestern. Das war ein neues Selbstmordopfer unter den amerikanischen Veteranen des Afghanistan-Krieges.

Laut der Nachrichtenagentur Associated Press, die sich auf das Pentagon beruft, wurden die US-Streitkräfte neulich mit einer Rekordzahl an Selbstmorden konfrontiert. So betrug 2012 die Zahl der Armeeangehörigen, die sich das Leben genommen hatten, 349, das ist fast einer pro Tag. Selbst während der Kampfhandlungen in Afghanistan hat es in demselben Jahr mit 295 Toten weniger Opfer gegeben. Laut der offiziellen Statistik entfällt knapp die Hälfte aller Selbstmorde ausgesprochen auf die Veteranen der Kriege im Irak und in Afghanistan. Trotz aller Rehabilitationsmaßnahmen für die Armeeangehörigen kann sich die Selbstmordkrise in den USA laut Experten auf zumindest 10 Jahre ausdehnen. Grund dafür sind die verzögerten Auswirkungen des psychischen Schadens.

Auch in Deutschland wächst die Zahl der Soldaten, die aus Afghanistan mit psychischen Folgeschäden zurückgekehrt sind, weiter. Laut dem deutschen Verteidigungsministerium hat diese Ziffer seit paar Jahren 2.000 erreicht. Während 2008 215 Personen in Behandlung waren, gab es 2011 noch vor Jahresablauf bereits 715. Was können unter diesen Umständen die Politiker tun? Nicht sehr viel, sagte im Telefongespräch mit der Stimme Russlands der Verfasser des oben erwähnten Buches „Sterben für Kabul“, Major der Bundeswehrreserve, Chefredakteur der Militärzeitschrift „Loyal” Marco Seliger:

„Ich glaube“, sagt Seliger, „Politiker können nur gewissermaßen Rahmenbedingungen schaffen, um die Versorgung von Soldaten, die in Afghanistan traumatisiert worden sind, zu verbessern. Mehr können die Politiker nicht tun. Das andere ist die Arbeit einer Gesellschaft, nämlich all den Menschen, die in Deutschland leben, in deren Auftrag die Soldaten nach Afghanistan geschickt worden sind, in deren Auftrag diese Soldaten gekämpft haben, getötet haben, gestorben sind oder eben verwundet am Leib und Seele.“

Der ganze Text des Gesprächs mit Marco Seliger wird auf unserer Webseite veröffentlicht. Aber schon diese Worte zeigen die ganze Ernsthaftigkeit des Problems. Das bekräftigte gegenüber der Stimme Russlands auch Tomasz Kloc, Vorsitzender des Verbands der Verwundeten und Geschädigten in Einsätzen außerhalb Polens:

„In Afghanistan sind 39 Soldaten aus Polen umgekommen“, so Kloc. „Was die Gesamtzahl der im Irak und in Afghanistan Geschädigten angeht, ist sie äußerst instabil, sie steigt fortwährend. Natürlich ist zu berücksichtigen, dass die Verletzungen hinsichtlich ihres Schweregrades sehr stark variieren. Häufig merkt man nach der Verwundung, dass sich das eigene Leben um 180 Grad gedreht hat.“

Die posttraumatische Belastungsstörung ist fester Bestandteil des Problems der Abweichung der Armeeangehörigen von den Bestimmungen der Satzungen und den Regeln der internationalen Konventionen während der Kampfhandlungen. „Ein Jahr Trauer – Das Massaker von Kandahar“: unter diesem Titel brachte die in Frankfurt erscheinende Zeitschrift „Hintergrund“ den Kommentar zum Mord an 17 afghanischen Zivilisten im März 2012, den der amerikanische Feldwebel Robert Bales verübt hatte. Später erklärte der Anwalt von Bales, sein Mandant leide an Gedächtnisschwund und könne sich an das Geschehene nicht erinnern. Kann sein. Vor Afghanistan hatte der Feldwebel im Irak gedient, wo er ein Schädel-Hirn-Trauma bekommen hatte. Ist es aber nicht der Krieg mit seinem Blutvergießen und Tod, der alle psychischen Störungen eines Soldaten fördert? In diesem Zusammenhang sind übrigens Berichte zu erwähnen, dass amerikanische Spezialeinsatzkräfte getöteten Afghanen, die nicht selten keine illegalen Kämpfer waren, Ohren und Finger als „Souvenirs“ abschnitten, dass Bundeswehrsoldaten mit Schädeln in Händen sich fotografieren ließen, oder auch, dass einige tschechische Armeeangehörige auf der Uniform die SS-Runen trugen.

Sehr scharf beurteilt den Inhalt der Kampfhandlungen in Afghanistan Mònica Bernabé, spanische Journalistin und Gründerin des Afghanischen Menschenrechtsvereins:

„Meines Erachtens ist Afghanistan ein Beispiel einer unerhörten internationalen Scheinheiligkeit und des Zynismus“, so Bernabé. „Afghanistan bringt es vor allem deshalb nicht fertig, wieder hoch zu kommen, weil die Weltgemeinschaft, um das Land wieder aufzubauen, ein Bündnis mit ehemaligen Kriegsfürsten eingegangen hat. Es ist, als wenn man nach dem Zweiten Weltkrieg Hitler an die Spitze der Regierung gestellt hätte, um Deutschland wieder aufzubauen.“

„Sie wurden getötet und verstümmelt“, schreibt Marco Seliger in seinem Buch von den am Hindukusch gefallenen Soldaten, „damit sich in Kabul eine teilweise verbrecherische Clique bereichern und an der Macht halten kann. Sinnlos gestorben.“ Gegen Seligers Worte lässt sich etwas einwenden. Gegen die Tatsachen kaum.

Quelle: Text Oleg Sewergin - „Stimme Russlands"

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