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Parteienforscher Prof. Dr. Peter Lösche: Niedergang der Volksparteien dauert an

Archivmeldung vom 04.09.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.09.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Die Landtagswahlen mit den beiden schweren CDU-Schlappen im Saarland und in Thüringen, die Dieter Althaus das Amt kostete, lassen die SPD Hoffnung schöpfen.

,,Ich gehe davon aus, dass wir am Abend des 27. September relativ komplizierte Verhältnisse haben werden", sagt der Parteienforscher Prof. Dr. Peter Lösche. Denn der Niedergang der Volksparteien dauere an, 5- oder 6-Parteien-Parlamente sind künftig die Regel.

Lässt sich aus den vier Wahlen vom Sonntag ableiten, dass die CDU eine 30-plus-x- und die SPD eine 20-plus-minus-x-Partei bleiben werden?

    Prof. Dr. Peter Lösche: Ich glaube schon. Wenn man die Wahlen der vergangenen Jahrzehnte analysiert, wird deutlich, dass die Volksparteien im Niedergang begriffen sind und allmählich an ihr Ende kommen. Damals entfielen bei Wahlen 90 Prozent der Stimmen auf CDU und SPD, heute kommen die beiden zusammen nur noch auf rund 60 Prozent. Das verdeutlicht den Niedergang.

Wie lassen sich die starken Verluste der CDU in Thüringen und im Saarland erklären?

    Lösche: Das hat mehrere Gründe. Zunächst sind die Spitzenkandidaten nicht so populär gewesen. Beim nun zurückgetretenen Ministerpräsidenten Dieter Althaus galt das schon vor seinem Skiunfall. Hinzu kommt, dass die CDU in zwei Kompetenzbereichen -- in der Wirtschaftspolitik und in Fragen der sozialen Gerechtigkeit -- deutlich verloren hat. Allerdings muss man einschränkend sagen, dass vor fünf Jahren der Höhepunkt der Anti-Agenda-Kampagne war und damit äußerst günstige Bedingungen für die CDU herrschten.

Was hat die SPD falsch gemacht?

   Lösche: Man kann den Niedergang der SPD am ehesten durch bestimmte strukturelle Gründe erläutern. Zu den aktuellen Gründen gehört, dass die Agenda 2010 von Schröder gegen die eigene Partei und -- da liegt das noch größere Problem -- gegen die Stammwähler-Klientel durchgesetzt worden ist. Die SPD zersplitterte dadurch weiter und viele Wähler sind bei der Linkspartei gelandet. Zu den Gründen für den Niedergang der SPD gehört aber auch, dass das sozialdemokratische Milieu -- etwa Facharbeiter -- in der Wählerschaft aufgrund ökonomischer Veränderungen schrumpft. Die SPD hat also -- selbst wenn sie sich ihrer Stammwählerschaft versichert -- nur einen schmalen Ausschnitt aus der Wählerschaft hinter sich.

Im Saarland stieg die Wahlbeteiligung um 12 Prozentpunkte. War das allein der Lafontaine-Effekt oder gab es eine echte Wechselstimmung?

     Lösche: Es kann auch Wechselstimmung gewesen sein. Vor allem aber kam es in Thüringen und im Saarland auf jede Stimme an, es stand Spitz auf Knopf. Immer dann, wenn den Wählern inhaltliche und personelle Alternativen gegeben werden, steigt die Wahlbeteiligung.

Brauchen die Parteien mehr prägnante Köpfe?

    Lösche: Sie brauchen nicht nur mehr prägnante Köpfe, sondern müssen sich inhaltlich deutlich profilieren und abgrenzen gegenüber konkurrierenden Parteien. Bei der SPD etwa muss das funktionale Äquivalent für die Ost-Politik gefunden werden, die 1969/1972 die SPD profilierte und ganz klar abgrenzte von der CDU.

SPD-Chef Franz Müntefering fordert die Ministerpräsidenten-Sessel in Thüringen und im Saarland für die SPD ein. Ist das eher als Gag oder als Realitätsverlust einzustufen?

    Lösche: Im Saarland besteht ja die Chance, dass mit Heiko Maas ein Sozialdemokrat Ministerpräsident wird. In Thüringen ist noch einiges offen, allerdings scheint sich die SPD dort in eine Falle manövriert zu haben.

In Thüringen und im Saarland dürfte es lange dauern bis eine Regierung steht. Erwarten Sie künftig mehr solcher Hängepartien?

    Lösche: Ja. Im Fünf-Parteien-System wird es sehr kompliziert werden, Koalitionen zu bilden. Wir werden uns vertraut machen müssen mit dem Typus von Dreier-Koalitionen, also Rot-Rot-Grün, Jamaika (Schwarz-Gelb-Grün) oder Ampel (Rot-Gelb-Grün).

Sie haben betont, dass die Parteien mehr Profil brauchen. Eine 2- oder 3-Parteien-Regierung bedeutet aber starke Kompromisse und damit eine Verwässerung des Profils. Ist das der Nährboden für eine weitere Aufsplitterung des politischen Spektrums in sechs oder mehr Parteien in den Parlamenten?

    Lösche: Der Nährboden ist ohnehin vorhanden. In solchen Mehr-Parteien-Koalitionen muss eine Dialektik betrieben werden: Auf der einen Seite muss Konsens gestiftet werden, auf der anderen Seite die Unverwechselbarkeit bewahrt werden. Das ist eine Gratwanderung, die nur gut angeseilt zu bewältigen ist. Im Übrigen glaube ich, dass wir auf der äußersten Rechten ein Potenzial von 10 bis 15 Prozent haben. Das hat sich bei einigen Wahlen wie gerade in Sachsen gezeigt. Es gibt also ein Potenzial für eine sechste Partei. Wenn sie weiter spekulieren wollen, gibt es das Potenzial bei den Freien Wählern und den "Piraten", die eine Ein-Punkt-Partei ist, aber durchaus mit den Freien Wählern kooperieren könnte. Dann hätte man sogar eine siebte Partei in den Parlamenten.

Erwarten Sie, dass es bald eine große und einflussreiche Rentner-Partei geben wird? Immerhin stellen die Rentner ein Viertel der Bevölkerung.

    Lösche: Gewiss gibt es hier ein großes Potenzial. Aber bisher sind die Anläufe zu einer solchen großen Partei -- wie etwa mit den Grauen Panthern -- gescheitert. Allerdings dürften die Rentner innerhalb der großen Parteien eine zunehmend wichtigere Rolle spielen als beachtenswerter Machtblock. Ich sehe derzeit aber keine Chance dafür, dass sich eine große Rentnerpartei konstituiert, denn die Interessen der Rentner sind uneinheitlich, sie driften auseinander. So wie es unterschiedliche Typen von Nichtwählern gibt, gibt es auch verschiedene Typen von Rentnern.

Früher gab es nur CDU und SPD, dazwischen die FDP. Es gab einen Kalten Krieg, ein klares Weltbild mit viel Schwarz und Weiß. Technologisierung und Globalisierung haben viele Graustufen gebracht. Es gibt oft keine eindeutigen Antworten mehr. Hat das zur Änderung des Parteiensystems beigetragen?

    Lösche: Das hat natürlich dazu beigetragen. In den 60er-, 70er- und auch noch 80er-Jahren war es wunderbar, dass es klare, übersichtliche Lager gab. Das war sozial-strukturell bedingt, das war zum Teil auch durch den Kalten Krieg bedingt. Heute ist die Gesellschaft viel ausdifferenzierter, viel komplexer. Das zeigt sich nicht nur in der Auffächerung des Parteiensystems, sondern auch darin, dass die beiden großen Parteien in sich gespalten sind. Bei der SPD sind es die unterschiedlichen Flügel, bei der CDU die unterschiedlichen Vereinigungen. Die großen Parteien sind also längst nicht mehr so einheitlich, wie sie es früher waren.

Das heißt, es wird kein Zurück mehr geben?

    Lösche: Ich glaube, dass es in den nächsten Jahren eher eine weitere Ausdifferenzierung geben wird als eine Rückkehr zu den großen Volksparteien.

Politik scheint -- wie die Wirtschaftskrise belegt -- nur noch auf Ereignisse zu reagieren statt zu gestalten. War die Agenda 2010 der letzte große Politikentwurf?

    Lösche: Ich würde die Agenda 2010 nicht als großen Politikentwurf bezeichnen, sondern eher als notwendige Reaktion auf bestimmte soziale und ökonomische Entwicklungen. Zu einem großen Politikentwurf würde gehören, dass man aus der Gegenwart heraus über Alternativen zum heutigen gesellschaftlichen Status quo nicht nur nachdenkt, sondern Konzepte entwickelt, wie man die Gesellschaft humanisieren, demokratisieren, vermenschlichen kann. Genau das fehlt heute bei allen Parteien.

Wäre solch ein Politikentwurf die Chance zur Rückkehr einer großen Partei?

    Lösche: Es käme darauf an, was inhaltlich vertreten wird und ob konkurrierende Parteien nicht das Thema schnell übernehmen und kolonisieren. Beim Thema Ökologie haben wir das bei den Grünen erlebt. Heute gibt es kein Parteiprogramm mehr ohne einen Abschnitt Ökologie.

Welches Ergebnis erwarten Sie bei der Bundestagswahl?

    Lösche: Ich gehe davon aus, dass wir am Abend des 27. September relativ komplizierte Verhältnisse haben werden.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (Das Interview führte Werner Kolbe)

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