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FDP-Chef Christian Lindner: "Skandal nicht unter den Teppich kehren"

Archivmeldung vom 05.06.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.06.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Christian Lindner Bild: Liberale, on Flickr CC BY-SA 2.0
Christian Lindner Bild: Liberale, on Flickr CC BY-SA 2.0

Die Wahlerfolge in den Hansestädten Bremen und Hamburg beflügelte die FDP. Nach der jüngsten Infratest dimap-Umfrage für die ARD könnten die Liberalen wieder mit sechs Prozent der Stimmen rechnen, zwei Prozentpunkte mehr als noch im Vormonat. Im Interview mit unserer Zeitung sagt der wiedergewählte Parteichef Christian Lindner: Die liberale Erzählung der FDP sei noch wichtiger, wie die Ausfälle der saarländischen CDU-Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer gegen die Homo-Ehe und das Zündeln von Pegida zeige. Die Steuersenkungspläne der großen Koalition seien ein "schlechter Scherz". Im griechischen Finanzdrama warnte Lindner vor falschem Entgegenkommen. "Hilfe muss an Reformen gebunden werden." In der NSA-Affäre drängt er auf einen Sonderermittler, damit die "Affäre nicht unter den Teppich gekehrt wird."

Die FDP hat wieder Wahlsieger, die AfD steht vor der Spaltung. Fühlen Sie sich darin bestätigt, nach dem Fiasko bei der Bundestagswahl nicht in einen Wettstreit um die populistischste Parole eingetreten zu sein?

Christian Lindner: Die AfD ist nicht unser Wettbewerber und mir insofern egal. Die FDP hat nach dem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag keinen populistischen Strohhalm ergriffen, sondern sich in jedem Politikfeld klar zur Freiheit bekannt. Darauf bin ich stolz.

In der Weimarer Republik gab es schon einmal die Situation, dass der Niedergang der liberalen Parteien mit einem Aufstieg der Flügelparteien einherging. Hatten oder haben Sie angesichts von Pegida-Populismus in der Parteienlandschaft Sorge um die politische Kultur der Bundesrepublik?

Lindner: Pegida war ein Angriff auf die Liberalität unseres Landes. Dabei ging es nicht um reale Integrationsprobleme, sondern um das schüren von Ressentiments. So etwas können die Freien Demokraten nicht zulassen. Auf die Vielfalt der Gesellschaft sind nicht Ressentiments die Antwort, sondern wechselseitiger Respekt.

Sie sehen die Partei noch nicht über den Berg, sondern im Vorgebirge. Welche Themen sollen Ihnen als Steighilfen dienen?

Lindner: Wir sind die einzige Partei, die den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellt. Wir vertrauen ihm und wollen ihn stark machen. Deshalb beginnt die liberale Erzählung bei der Bildung, die wir zur Aufgabe des Gesamtstaates machen wollen. Die Ausfälle von Frau Kramp-Karrenbauer zeigen: Auch in der Gesellschaftspolitik ist noch viel zu tun. Und natürlich streiten wir weiterhin für wirtschaftliche Vernunft und die Bürgerrechte, die die Große Koalition gerade wieder einschränken will.

Die Steuerquellen sprudeln, doch die große Koalition nimmt gerade einmal die kalte Progression ins Visier. Wäre jetzt die Stunde der Steuersenkungspartei FDP?

Lindner: Die Bundesregierung hat beschlossen, die Menschen um 1,5 Milliarden Euro bei der kalten Progression zu entlasten. Das kann ich angesichts der Rekordsteuereinnahmen nur als schlechten Scherz empfinden. Wir haben in der schwarz-gelben Koalition vorgeschlagen, die Menschen um sieben Milliarden Euro zu entlasten, was an Rot-Grün im Bundesrat gescheitert ist. Da fehlt Wolfgang Schäuble offensichtlich der Ehrgeiz - wie auch beim Ausstieg aus dem Soli.

"German Mut" lautete das Motto Ihres Parteitags. Würde es auch für einen liberalen Außenminister gelten oder würden Sie in einer Situation wie in der Libyen-Krise erneut davor zurückzucken, gemeinsam mit den Verbündeten militärische Mittel einzusetzen?

Lindner: Wir wünschen uns German Mut nicht nur für die Freien Demokraten, sondern ganz Deutschland. Wenn die anderen Parteien Ängste bemühen, setzen wir auf Mut und Optimismus. Das gilt natürlich auch für die Außenpolitik. Heute würden wir anders entscheiden. Angesichts der neuen Bedrohungen dürfen wir nicht noch einmal zulassen, dass die NATO nicht geschlossen agiert.

In der Griechenlandkrise setzte die FDP auf Solidarität gegen Reformen. Rechtfertigen Athens Trippelschritte das letzte Angebot der Troika oder wäre der Grexit sinnvoller?

Lindner: Die Verhandlungen mit Griechenland drohen zum Kuhhandel zu werden. Wenn der IWF von Bord gehen sollte, würden sich am Ende doch die politischen Weichmacher durchsetzen. Die seit fünf Jahren verfolgte Strategie, Hilfen an Reformen und Regeln zu binden, wäre de facto beendet. Ich bleibe dabei: Es darf kein falsches Entgegenkommen geben.

Würde die Vision eines geeinten Europas endgültig Schiffbruch erleiden, wenn das Ausscheiden Großbritanniens aus dem Geleitzug nicht verhindert werden könnte?

Lindner: Der Brexit wäre geostrategisch gefährlicher als der Grexit. Bei allen Eigenheiten steht Großbritannien für Marktwirtschaft, Individualismus und gegen Zentralismus. Ohne die Briten stünde Deutschland bei diesen Dingen nahezu allein in Europa. Deshalb sollten wir in Deutschland offen für EU-Reformen sein.

Der urliberale Traum vom selbstbestimmten Leben in Freiheit scheint derzeit eher in Flüchtlingsbooten als in Europas Hauptstädten gelebt zu werden. Wie würde die FDP zwischen den Klippen segeln, die aus den Ängsten vor mehr Zuwanderung und aus der Pflicht, zu helfen, gebildet werden?

Lindner: Angesichts des demografischen Wandels brauchen wir dringend mehr Einwanderung, damit es auch künftig genügend Fachkräfte gibt. Das ist noch immer zu kompliziert, weshalb wir ein Einwanderungsgesetz mit einem Punktesystem nach kanadischem Vorbild vorgeschlagen haben. Wir müssen aber auch etwas für die Menschen tun, die hier Zuflucht suchen. Die Asylverfahren müssen schneller und unbürokratischer ablaufen. Und wir müssen frühzeitig Bildung und Beschäftigung ermöglichen.

BND und NSA stellen offenbar seit Jahren Sicherheit über Freiheit. Wie müsste der Überwachungsskandal aufgeklärt werden?

Lindner: Die Bundeskanzlerin will darüber vor dem G7-Gipfel nicht sprechen. Am Montag läuft das Ultimatum von Frau Fahimi aus. Ich bin gespannt, was sich dann in der Großen Koalition tut. Ohne den von uns geforderten Sonderermittler wird wenig passieren. Der Vorgang darf aber auf keinen Fall unter den Teppich gekehrt werden.

2013 - als die FDP noch an der Regierung war - reagierte das Kanzleramt sehr gelassen auf die Abhöraffäre. Weiß man jetzt angesichts der aufgedeckten Kumpanei der Schlapphüte, warum?

Lindner: Es muss im Interesse der Bundeskanzlerin selbst sein, alle Zweifel an ihrer Behörde auszuräumen und für Transparenz und Ordnung zu sorgen.

Müssen angesichts der neuen technischen Abhörmöglichkeiten schärfere Regeln und eine bessere Kontrolle der Geheimdienste durchgesetzt werden?

Lindner: Absolut. Ich habe neben dem Sonderermittler einen Geheimdienstbeauftragten nach dem Vorbild des Wehrbeauftragten gefordert. Er braucht eigene Mitarbeiter und Befugnisse, etwa zur Akteneinsicht. Das Parlamentarische Kontrollgremium reicht für die Kontrolle nicht aus. Zudem wäre es sinnvoll, die Kooperation des Deutschen Bundestages mit den parlamentarischen Gremien in Washington in diesen Fragen zu intensivieren.

Kann die FDP mit ihrem ureigenen Thema Datenschutz noch Wähler mobilisieren oder fehlt es hier den Bürgern, die oft freiwillig viele eigene Daten ins Internet stellen, hier an Problembewusstsein?

Lindner: Die Große Koalition hat gerade beschlossen, die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Das treibt die Menschen um. Gerade weil die SPD hier auf so erbärmliche Weise umgefallen ist. Wir Freien Demokraten verteidigen die Individual- oder Minderheitenrechte - unabhängig davon, ob es populär ist oder nicht.

Quelle: Das Interview führte Joachim Zießler - Landeszeitung Lüneburg (ots)

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