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Interview der Fuldaer Zeitung mit Wirtschaftsminister Rainer Brüderle

Archivmeldung vom 14.06.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 14.06.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Rainer Brüderle Bild: Deutscher Bundestag  / Lichtblick/Achim Melde
Rainer Brüderle Bild: Deutscher Bundestag / Lichtblick/Achim Melde

Wenn er hört, mit welch harscher Kritik das Sparpaket der Regierung übergossen wird, dann kann selbst der sonst so gelassen wirkende Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) in Rage kommen. "Das Paket ist beschlossen und fertig", erregt er sich. Am Rande eines Termins in Künzell gab der 64-Jährige der Fuldaer Zeitung ein Exklusiv-Interview, in dem er sich auch zu den Themen Gesundheitsreform, Opel und Bundespräsidentenwahl äußerte.

Die Forderung des stellvertretenden FDP-Chefs an die eigene Koalition: "Wir müssen nach einer gemeinsamen Melodie singen und vor allem auch den gleichen Text."

Frage: Herr Brüderle, ich kann mich nicht erinnern, dass in einer Koalition der letzten 30 Jahre mal derart die Fetzen geflogen sind wie derzeit. Angeblich sehnen sich in der CDU viele schon nach der großen Koalition zurück. Wie nah steht die Bundesregierung am Scheitern? Brüderle: Wir werden nicht scheitern, sondern unsere Arbeit erfolgreich fortsetzen. Sehen Sie, wir befinden uns schließlich in ungewöhnlich schwierigen Zeiten. Die weltweiten Wirtschaftsprobleme sind nicht gelöst - und auch in Deutschland muss es noch weiter bergauf gehen. Wir werden noch mindestens zweieinhalb Jahre brauchen, bis wir wieder das Wohlstandsniveau von 2008 erreicht haben. Auch die Finanzmarktkrise ist nicht gelöst. Wir haben bisher im Wesentlichen stabilisiert. Für die Bundesregierung gibt es noch jede Menge zu tun.

Frage: Umso wichtiger wäre es doch, dass alle an einem Strang ziehen. Stattdessen Dissonanzen ohne Ende - und das von Anfang an. Brüderle: Da gibt's nichts schönzureden: Der Start der Bundesregierung war holprig. Brüderle: Wir müssen nach einer gemeinsamen Melodie singen und vor allem auch den gleichen Text.

Frage: In der FDP sind viele mittlerweile sauer auf die CDU, weil die sich nicht an Vereinbarungen des Koalitionsvertrages hält. Brüderle: Der Corpsgeist muss von beiden Seiten gesteigert werden. Es gibt immer wieder Querschüsse, die nicht hilfreich sind. Ich denke da zum Beispiel an unser Energiekonzept und die vereinbarte Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken. Wir müssen endlich Entscheidungen treffen. Stattdessen wird vieles in der Diskussion zerredet.

Frage: Die FDP ist in jüngsten Umfragen auf fünf Prozent gefallen und müsste zum aktuellen Zeitpunkt bei einer Bundestagswahl um den Einzug ins Parlament bangen. Was ist da schief gelaufen seit dem Triumph im September? Brüderle: Es war vielleicht ein Fehler, dass wir alle Probleme des Landes gleich zu Beginn der Regierungszeit anpacken wollten. So wurde gar nicht richtig registriert, dass wir zum 1. Januar die Menschen bereits um 24 Milliarden Euro entlastet haben. Das waren zum Teil Beschlüsse der Vorgängerregierung, aber darüber hinaus haben wir das Kindergeld erhöht und Korrekturen bei Einkommen- und Erbschaftsteuer vorgenommen. Ferner haben wir den Weg zu einer neuen Gesellschaftspolitik eingeschlagen: Wir wollen eine andere Balance zwischen eigenverantwortlichen Entscheidungsmöglichkeiten der Bürger und Kollektiventscheidungen des Staates. Es ist doch ein Glücksfall, dass in dieser schwierigen Zeit die Parteien in Deutschland keine Mehrheiten haben, die Heil in staatlichen Mechanismen sehen.

Frage: Die FDP kann das aber nicht in Sympathien ummünzen und bekommt bei der CDU kaum ein zentrales Wahlversprechen durch. Beispiel Gesundheitsreform: Ihr Parteifreund Philipp Rösler hat sein Schicksal mit der Einführung der Kopfpauschale verknüpft. Die liegt nun auf Eis. Erschüttert schon bald ein weiterer Rücktritt das politische Berlin? Brüderle: Minister Rösler hat deutlich gemacht, wie wichtig ihm die Sache ist. Es gab in den vergangenen Jahren immer nur Kostendämpfungsgesetze im Gesundheitswesen, keine echte Reform. Dabei sind sich alle einig, dass das System intelligenter und effizienter organisiert werden muss, auch um die Gesundheits- von den Arbeitskosten zu entkoppeln. Wir müssen weg von der durch den Gesundheitsfonds initiierten Verteilungsmechanik des Staates - hin zu mehr Wettbewerbslösungen. Der Ansatz von Rösler ist sehr moderat, federt soziale Härten ab. Wir müssen den Mut zur Reform haben. Denn sonst führt das schon bald zu immensen Mehrkosten für die Versicherten - oder zur Rationierung von Gesundheitsleistungen. Und das wäre bei einer alternden Bevölkerung fatal.

Frage: Mit der CSU und Herrn Seehofer wird die Sache aber nicht zu machen sein. Brüderle: In der Tat macht es uns Herr Seehofer nicht einfach, aber ich erwarte, dass er zu den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages steht. Auch Herr Seehofer hat im Koalitionsvertrag unterschrieben, dass wir diesen Weg gehen. Daran muss er sich halten.

Frage: Im Koalitionsvertrag sind auch Steuersenkungen vereinbart. Jetzt sind alle großspurigen Forderungen der FDP vom Tisch, auch von einem einfacheren und gerechteren Steuersystem spricht niemand mehr. Brüderle: Doch! Wir arbeiten fest an einem einfacheren und gerechteren System. Ich gebe zu: Eine Vereinfachung, zum Beispiel Sondertatbestände abzuschaffen, ist wegen der Haushaltslage schneller zu machen als die Entlastung. Aber: Ich gehe fest davon aus, dass wir noch in dieser Legislaturperiode Entlastungsschritte auf den Weg bringen. Um das klar zu sagen: Wir wollen nicht die Spitzenverdiener entlasten, sondern den Durchschnittsverdiener. Es geht um die kalte Progression, den so genannten Mittelstandsbauch.

Frage: Aber längst wird doch über Steuererhöhungen diskutiert. Angeblich wehrt sich jetzt nicht einmal mehr der Bundesfinanzminister gegen eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Brüderle: Es gibt da in der Koalition eine klare gemeinsame Vereinbarung: Keine Steuererhöhungen! Das gilt. Es tut der Debatte nicht gut, täglich einen neuen Luftballon steigen zu lassen. Der Bundesfinanzminister hat sich vergangene Woche ganz klar gegen Steuererhöhungen positioniert.

Frage: Was spricht eigentlich dagegen, Spitzenverdiener - sagen wir mal ab einem Jahreseinkommen von 250000 Euro - etwas stärker zu belasten? Brüderle: Wir haben doch heute schon eine starke Belastung der oberen Einkommensgruppen. Schauen Sie mal, wo das Steueraufkommen herkommt. Es geht hier auch um eine Frage der Steuergerechtigkeit.

Frage: Wie gerecht ist denn das Sparpaket? Können Sie es verstehen, wenn auch in der Union nun wieder die von der FDP zu Jahresbeginn durchgesetzten Steuererleichterungen für Hotels in Frage gestellt werden, weil auf der anderen Seite bei den Schwachen der Gesellschaft gekürzt wird? Brüderle: Die Begründung für die Entscheidung, die Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen herabzusetzen, war, dass von 27 EU-Staaten in diesem Bereich mehr als 20 reduzierte Steuersätze haben. Vor allem auch die CSU hat da vehement eine Angleichung gefordert. Wenn ein Hotel in Oberbayern deutlich höher belastet ist als im benachbarten Österreich, ist das eine Wettbewerbsverzerrung. Die Entscheidung, dass man den Tourismus in Deutschland fördert, ist von allen drei Koalitionsparteien einvernehmlich beschlossen worden.

Frage: Wo sollte das Sparpaket Ihrer Ansicht nach nachgebessert werden? Brüderle: Das Paket ist beschlossen und fertig. Wir haben es gründlich beraten - teilweise bis in die Nacht hinein. Wir erfüllen mit dem Paket mehr, als uns die Schuldenbremse des Grundgesetzes auferlegt.

Frage: Eine Steuer, die die FDP unbedingt verhindern wollte, ist die Finanzmarktransaktionssteuer. Jetzt ist diese Steuer nun doch wieder auf der Agenda und bereits im Sparpaket eingepreist. Hat sich die FDP da über den Tisch ziehen lassen? Brüderle: Noch ist nichts beschlossen. Wir sind uns einig, dass es eine Regelung geben muss. Die FDP ist für eine Finanzaktivitätssteuer, wie sie der Internationale Währungsfonds vorgeschlagen hat. Ich könnte mir vorstellen, dass auf diese Weise beim Solidarfonds für künftige Krisen, in den die Bankenabgabe fließen soll, auch Boni und Zusatzvergütungen einbezogen werden, um den Finanzsektor stärker zu beteiligen. Die Finanzmarkttransaktionssteuer belastet dagegen wieder den Bürger, da sehe ich eine begrenzte Lenkungswirkung nur im Computerhandel von Derivaten, wo in Nanosekunden mit geringen Margen große Beträge bewegt werden können. Die spannende Frage wird aber sowieso sein: Macht London mit? Inzwischen kommen zehn Prozent des britischen Nationaleinkommens aus dem Finanzsektor, da sehe ich schon jetzt große Vorbehalte.

Frage: Ein weiteres Thema, wo Union und FDP mit zwei Zungen reden, ist die Opel-Rettung. Sie haben diese Woche Staatsbürgschaften abgelehnt, was die Kanzlerin sofort zu der Aussage gebracht hat, das letzte Wort sei noch nicht gesprochen. Was haben Sie in diesem Moment gedacht? Brüderle: Ich habe ihre Äußerung so verstanden, wie sie das später auch erklärt hat: Sie dachte dabei an die Hilfsmöglichkeiten, die die Länder haben. Als ich am nächsten Tag mit der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten der Opel-Standorte zusammen saß, hat sie das auch bestätigt. Jetzt prüfen die Länder, ob sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten helfen können.

Frage: Wenn Opel kein Fall für eine Staatsbürgschaft oder anderweitige Staatshilfe ist, ist doch eigentlich auch die Hilfe der Länder nicht notwendig - oder? Brüderle: Das müssen die Länder entscheiden. Für Geld aus dem Deutschlandfonds gibt es strenge Kriterien, die ich bei Opel nicht erfüllt sah. General Motors verfügt über mindestens zehn Milliarden Euro flüssige Mittel, das Unternehmen erhöht gerade seine Gewinnprognose für dieses Jahr in Richtung vier Milliarden Euro. Vor diesem Hintergrund kann GM Opel selbst helfen. Wenn es brennt, müssen wir den Feuerlöscher verwenden. Aber wenn der Brand gelöscht ist, sollten wir besser schauen, wie der Brandschutz vernünftig organisiert wird.

Frage: Auch die Wahl des Bundespräsidenten sorgt für Zoff in der Koalition. Erste FDP-Politiker haben bereits angekündigt, für Gauck zu stimmen. War es ein Fehler der FDP, die Auswahl des Kandidaten der CDU zu überlassen? Brüderle: Die Vorsitzenden von CDU, CSU und FDP haben sich gemeinsam auf Christian Wulff als Kandidaten verständigt. Joachim Gauck ist ein sehr respektabler Kandidat, und es gibt viele Sympathien für ihn auch in der FDP. Doch ich bin fest überzeugt davon, dass am Ende Christian Wulff gewählt wird.

Quelle: Fuldaer Zeitung

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