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Fischer warnt vor Politiker-Flucht in Neuwahlen

Archivmeldung vom 05.10.2013

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.10.2013 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Joschka Fischer Bild: Andrzej Barabasz
Joschka Fischer Bild: Andrzej Barabasz

Joschka Fischer, früherer Bundesaußenminister und Ex-Spitzenmann der Grünen, hat davor gewarnt, sich nach dem jüngsten Wahlergebnis in Neuwahlen zu flüchten. In einem Video-Interview mit der bei der Mediengruppe Madsack erscheindenden "Leipziger Volkszeitung" sagte Fischer, der Souverän bei Bundestagswahlen habe sich als alles andere als politikmüde erwiesen. "Das war eine sehr bewusste Entscheidung. Und daraus müssen die jetzt was machen. Punkt!" Es sei ja ganz offensichtlich nicht ein Wahlergebnis zustande gekommen, wo gar nichts mehr gehe.

"Man kann Wähler nicht zum Stimmenvieh machen. Die haben gesprochen. Umfragen zeigen auch, eine große Mehrheit hat als Priorität Nummer eins die große Koalition." Dass dies jetzt aus taktischen Gründen irgendwelchen Parteigranden nicht in den Kram passe, sei deren Sache. Aber so sei das eben in einer Demokratie. "Wähler sind kein Stimmenvieh, sondern souverän. Das muss man ernst nehmen."

Gleichzeitig hob Fischer hervor, dass Deutschland angesichts der zentralen Verantwortung der Bundesrepublik auch in Europa eine handlungsfähige starke Regierung brauche. "Es kommen schwierige europäische Entscheidungen auf die Bundesregierung zu. Vieles ist vertagt worden." Die europäische Krise sei mit Nichten zu Ende. "Da hängt sehr viel an Deutschland. Und insofern brauchen wir da eine stabile handlungsfähige Regierung."

Fischer sieht den dauerhaften Tabubruch als Ergebnis der Bundestagswahl: Schwarz-Grün und Rot-Rot-Grün sind als Tabus abgeräumt

Der frühere Grünen-Spitzenpolitiker Joschka Fischer sieht in dem jüngsten Bundestagswahlergebnis eine Zeitenwende, weil koalitionspolitische Tabubrüche dauerhaft vollzogen worden seien. In einem Video-Interview mit der  "Leipziger Volkszeitung" meinte Fischer: "Wenn diese ganzen Übungen mit diesen Sondierungen jetzt einen Sinn haben, dann ist es, dass die Tabus abgeräumt werden. 2017 wird weder Rot-Rot-Grün noch Schwarz-Grün noch ein Tabuthema sein." All das werde im Bereich des Machbaren liegen. "Insofern hat sich dann die Republik ein Stück weit wirklich verändert." Bei den Grünen gebe es keinen neuen Positionierungsbedarf, wenn sie zu dem zurückkehrten, was sie erfolgreich gemacht habe. Und das sei die Ökologie- und Europapartei gewesen. "Die Linksverschiebung war ein Fehler. Da sind wir am Schwächsten gewesen. Das kann die SPD besser. Das kann die Linkspartei besser", meinte Fischer.

Wenn die Mehrheiten da seien, würden Grüne und SPD es wieder als Projekt versuchen, zeigte sich Fischer überzeugt. Er wisse natürlich, dass das Projekt viel kritisiert worden sei. "Aber letztendlich sehen wir doch jetzt auch, dass etwas fehlt. Nämlich ein Projekt, für das man Wähler begeistern kann." Es genüge eben nicht, nur die Stammwählerschaft anzusprechen "und ansonsten beten wir drei Jahre schmerzenreiche Rosenkränze und ein Ave Maria in der Hoffnung, dass die Wechselwähler uns auch nicht vergessen". So werde es nicht funktionieren. "Die Grünen sind immer dann stark, wenn sie von den Inhalten aber auch von der machtpolitischen Konstellation her Wählerinnen und Wähler überzeugen konnten." Sie seien für ein bestimmtes Projekt auch entstanden. "Für eine Partei, die auf Veränderung setzt, die auf soziale und ökologische Modernisierung setzt, halte ich das für essentiell."

Fischer sieht die Zukunft der Grünen in der Mitte und als politische Erben der FDP

Der frühere Bundesaußenminister und langjährige Frontmann der Grünen, Joschka Fischer, hat an seine Partei appelliert, alles dafür zu tun, um den durch die FDP verwaisten Platz in der Mitte zu besetzen. In dem Video-Interview sagte Fischer weiter: "Eine solche Gelegenheit nicht zu nutzen, das wäre mehr als dämlich. Das wäre dumm." Den FDP-Platz dauerhaft zu besetzen, läge im zentralen Interesse der Partei. "Wir wollen stärker, größer werden, in die Mitte hinein ausgreifen. Darin sehe ich die Perspektive." Dafür biete "die Tragödie der FDP eine große Chance".

Er verstehe ehrlich gesagt nicht wirklich, warum die FDP so gehasst werde, wie es jetzt zum Vorschein kommt. "Ich weiß, dass sich diese Partei seit Guido Westerwelle sehr verändert hat, dass sie jetzt den Preis dafür bezahlen, für die Endkernung der Partei. Aber die FDP, das darf man nicht vergessen, hat für die Bundesrepublik Deutschland Großes geleistet."

Zweifel hegt Fischer allerdings an der Führungsrolle, die bei der FDP nun Christian Lindner einnehmen soll. Er erinnerte daran, dass Lindners wichtiger Beitrag nach der Wahlschlappe darin bestanden habe, der Öffentlichkeit seine neu geschaffene Haarpracht mitzuteilen. Er maße sich zwar kein endgültiges Urteil über Lindners Fähigkeiten an, sagte Fischer. Aber: "Ich habe mich nur gewundert, dass das erste, was man von ihm hört nach der Wahl, kosmetische Veränderungen sind. Ich glaube, Lambsdorff und Genscher wären auf die Idee nicht gekommen."

Fischer hat den falschen Kurs der Grünen schon längere Zeit vorausgeahnt

Der frühere Bundesaußenminister und Spitzenpolitiker der Grünen, Joschka Fischer, hat seiner Partei dringend geraten, sich auf ihre alten Stärken zu besinnen und den Fehler mit der Links-Gewichtung zu beenden. Im Video-Interview sagte Fischer, er habe bereits nach dem Wahlprogrammparteitag der Grünen vor einer Fehlorientierung gewarnt. "Oh, oh, das wird schief gehen", habe er gewarnt. "Man kann nicht von den Leuten verlangen, wähl mich und dann wird es bitter für dich." Das sei etwas zu viel.

Vertreter von Parteien, die verändern wollten, stünden ganz anders unter Beobachtung von Wählerinnen und Wähler als konservative Parteien. "Deswegen spielt die Vertrauensfrage eine so große Rolle für "linke" Parteien." Es sei schwerer, aus einer linken Position heraus mehrheitsfähig zu werden, als aus einer rechten Position heraus. "Und da war die Steuerpolitik nicht weit gedacht."

Die Grünen hätten weiterhin ein großes Potenzial, ganz sicher um die 18 Prozent. Ich glaube, "die müssen nicht gerettet werden. Die müssen die Fehler, die sie gemacht haben, intern analysieren und dann die notwendigen Korrekturen vornehmen". Weil man den falschen Schwerpunkt im Wahlkampf gesetzt habe, sei es nicht gelungen, dieses Potenzial abzurufen. Die Grünen müssten "bei dem bleiben, wo sie stark sind" und große Themen wie Energiewende, Netzpolitik und Europa offensiv vertreten. Damit erreiche man die besonders aufgeschlossene junge grüne Wählerklientel.

"Der Generationenwechsel hätte Schritt für Schritt stattfinden sollen", so Fischers Konsequenz aus der jüngsten Wahlschlappe der Grünen. "Jeder und jede kommt eben an einen Punkt, wo man eigentlich besser daran tut, sich zurückzuziehen nach einer Wahlniederlage." Jetzt werde dieser Generationenwechsel "in einem Akt vollzogen, in einer Situation relativer Schwäche". Das schaffe zusätzliche Herausforderungen, "aber das ist keine Existenzfrage", zeigte sich Fischer überzeugt.

Mehrheiten braucht man, wenn man regieren will. Wenn man opponieren will und keine Angst vor der Fünf-Prozent-Hürde hat, kann man sich am Rande aufhalten. Mehrheiten würden in einer stabilen Demokratie in der Mitte geschaffen. "Wenn Mehrheiten am Rande geschaffen werden, wird es in der Regel gefährlich, wie wir aus der Geschichte wissen." Soziale Gerechtigkeit sei ein Thema der Grünen und werde es bleiben. "Aber es kann nicht im Zentrum stehen. Das kann die Linkspartei besser." Bei den Grünen müssten wieder andere Themen eine zentrale Rolle spielen, zum Beispiel ökologische Fragen.

Fischer erwartet von Deutschland mehr Leistung in Sicherheitsfragen

Ex-Außenminister Joschka Fischer von den Grünen hat sich dem Apell von Bundespräsident Joachim Gauck an die deutsche Politik angeschlossen, mehr und sichtbare Verantwortung in der Europa- und Weltpolitik zu übernehmen. In einem Video-Interview mit der "Leipziger Volkszeitung" meinte Fischer: "Der Bundespräsident hat Recht. Wir spielen für Europa eine zentrale Rolle." Es sei völlig klar, dass die den Deutschen vertraute Umgebung der europäischen Nationalstaaten nicht mehr ausreiche, "um unsere Interessen in der Welt des 21. Jahrhunderts entsprechend wirkungsvoll vertreten zu können". Aber auch in der Sicherheits- und Außenpolitik mache er sich große Sorgen. "Wir sehen doch jetzt in Syrien, dass die USA nicht mehr willens und nicht mehr in der Lage sind, die traditionelle Rolle wahrzunehmen. Nur: Wenn die Dinge schief gehen, sind die USA weit weg. Wir nicht."

Die Schlussfolgerung, dass mit einer stärkeren Rolle Deutschlands auch eine sichtbare Verteidigungs- und Sicherheitsleistung der Deutschen, inklusive eines steigenden Verteidigungshaushaltes, einhergehen müsse, wollte Fischer nicht direkt ziehen. Aber er sagte in diesem Zusammenhang: "Ich denke, es muss eine inhaltliche Neubesinnung geben, bevor man zu diesem Schritt kommt. Aber ich werde hier kein neues Fass aufmachen, nach der Devise: Fischer fordert Erhöhung des Verteidigungsetat." Aber der Frage müsse man sich stellen.

Mit Bezug auf die Europapolitik stellte Fischer heraus, dass der Euro und das europäische Projekt "meines Erachtens nicht überleben" werde, wenn wir nicht zu einer gewissen Schuldenvergemeinschaftung kommen". Die Bankenunion müsse jetzt entschlossen durchgesetzt werden, als nächstes komme dann die Fiskalunion. "Das wird zu einer Annäherung der verschiedenen Politiken führen, bis hin zur Sozialpolitik. Die Steuerpolitik und all diese Dinge werden zusammengeführt werden. Schritt für Schritt, nicht an einem tag, nicht in einem Jahr. Aber das muss sein." Mehr und mehr Souveränität werde dann auf die europäische Ebene übertragen.

Quelle: Leipziger Volkszeitung (ots)

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