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Interview: Annalena Baerbock sieht Jugendprotest an den Freitagen als Schwungrad für den Klimaschutz

Archivmeldung vom 10.05.2019

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.05.2019 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Annalena Baerbock  (2018)
Annalena Baerbock (2018)

Foto: Scheint sinnig
Lizenz: CC BY-SA 4.0
Die Originaldatei ist hier zu finden.

In einem fraktionsübergreifenden Gesetzesvorschlag werben Sie dafür, das Prinzip der Freiwilligkeit bei Organspenden beizubehalten. Soll die Gesellschaft kein moralisches Recht auf meinen Körper erhalten?

Annalena Baerbock: Klar ist: Wir brauchen Verbesserungen bei der Organspende. Viele Menschen warten händeringend auf eine neue Niere, ein neues Herz, auf Hilfe. Auf der anderen Seite gibt es grundsätzlich eine große Bereitschaft, zu helfen. Nur leider sind aber längst nicht alle, die bereit wären zu spenden, auch registriert. Deshalb wollen wir einen Weg finden, die Spendenbereitschaft zu erhöhen. Zusammen mit anderen Abgeordneten habe ich dafür vorgeschlagen, dass man, immer wenn man einen Ausweis abholt, gefragt wird, ob man zur Organspende bereit ist. Diese Entscheidung kann jederzeit online geändert werden. Wichtig ist aber auch, dass die Position der Transplantationsbeauftragten in den Kliniken gestärkt und es mehr Qualität, Verbindlichkeit, eine aufwandsgerechte Finanzierung gibt.

Sollte das Prinzip der Freiwilligkeit nicht auf den Prüfstand? Es sorgt dafür, dass es zu wenig Spenderorgane, aber - beim Impfen - auch zu viele Masern-Infektionen gibt.

Ich möchte, dass wir bei der Organspende aus dem Akt der Solidarität keinen Pflichtakt machen. Deshalb setzen wir mit unserem Vorschlag zwar auf eine verbindliche Ansprache, aber dennoch auf Freiwilligkeit. Ich glaube, dass man damit mehr erreicht als wenn man automatisch zum Spender wird und dann aktiv widersprechen muss. Es handelt sich ja um eine sehr persönliche Entscheidung. Außerdem müssen wir eine Regelung sorgen, die vor dem Verfassungsgericht Bestand hat.

Umfragen suggerieren den Grünen bei der Europawahl einen Triumph. Ist die Zeit vorbei, da die Grünen gegen die Mehrheitsgesellschaft protestieren, da sie nun ein Teil von ihr sind?

Die Zeiten sind andere, und deswegen stellen wir an uns auch einen anderen Anspruch. Wir haben existenzielle Veränderungen. Leute spüren die Klimakrise sehr direkt. Letztes Jahr ist die Ernte verdorrt, noch immer sind die Böden viel zu trocken. Oder die Digitalisierung, der ungezügelte Finanzmarkt, die Zukunft Europas. Viele Menschen sind verunsichert. Wir müssen deshalb vieles grundlegend verändern, um Halt zu geben und die Krisen in den Griff zu kriegen. Das gelingt aber nur, wenn wir die Breite der Gesellschaft in den Blick nehmen, auch die, die von unserer Politik betroffen sind. Wenn wir zum Beispiel den Kohleausstieg vorantreiben, dann sagen wir gleichzeitig, wie wir den Kohlearbeitern und den Regionen wirtschaftliche Perspektiven geben können.

Zu den Wahlsiegern könnten europaweit aber auch rechtspopulistische Europa-Gegner werden. Was können die pro-europäischen Parteien tun, um zu verhindern, dass das Europäische Parlament als Träger der Idee vom Projekt EU ausfällt?

Wir wollen Europa erneuern und so wieder Vertrauen schaffen. Die Europawahl ist ja eine Richtungswahl. Auf der einen Seite drohen die Nationalisten die EU von innen heraus zu zerstören. Auf der anderen Seite haben sich andere - insbesondere die Bundesregierung - im Status Quo eingeigelt. Alle Nas' lang blockiert sie wichtige Veränderungen, nehmen Sie die Einführung einer Digitalkonzernsteuer oder Steuertransparenz. Damit verschärft sie aber die Vertrauenskrise. Die Menschen bekommen das Gefühl, die Politik schützt die Konzerne, nicht sie. Und schuld soll dann Europa sein. Deshalb müssen wir die Politik ändern: Die EU muss sozialer, ökologischer und handlungsfähiger werden. Dann können wir dieses großartige Friedensprojekt erhalten. Darum geht es in den nächsten Tagen und Wochen auf der Straße und in den Debatten.

In Ungarn, Rumänien aber auch Italien präsentieren sich die Regierungen derzeit nicht als Träger politischer Werte. Sollte die EU weitere Erweiterungsrunden, etwa auf dem Westbalkan, auf Eis legen, bis wieder mehr überzeugte Europäer unter Regierenden wie Regierten zu verzeichnen sind?

Naja, überzeugte Europäerinnen und Europäer fallen ja nicht einfach vom Himmel. Man muss schon was für Europa tun, auch mal gegen Widerstände und Vorurteile, und man darf sich nicht von gefühlten Stimmungen leiten lassen. Sonst wäre die EU sicher nie gegründet worden und sonst hätte es keine Osterweiterung gegeben. Und beides ist eine Erfolgsgeschichte. Aber zum Westbalkan: Die vereinbarten Voraussetzungen sind erfüllt. Deshalb sollten die EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien in diesem Jahr beginnen. Eine ehrliche EU-Beitrittsperspektive für alle Länder des westlichen Balkans ist ein wichtiger Motor für den sensiblen Friedens- und Transformationsprozess dort. Bis zu einem tatsächlichen Beitritt bleibt in der gesamten Region aber noch sehr viel zu tun. Die Lage ist fragil und vor allem im Bereich der Rechtsstaatlichkeit gibt es große Baustellen.

Seit den 80er-Jahren haben die Grünen dafür gesorgt, dass Schwarz-Rot-Gold einen Grünstich bekam, ökologische Themen in der Mitte der Gesellschaft verankert wurden. Was entgegnen sie dem "Fridays-for-Future"-Vorwurf, dass noch nichts erreicht wurde?

Die Ökologie hat den Weg aus der Nische gefunden, das schon. Aber ja, die Jugendlichen haben recht: Die letzten Jahre ist beim Klimaschutz viel, viel zu wenig passiert. Die Bundesregierung hat die Hände einfach in den Schoß gelegt. Und inzwischen hat die Klimakrise eine Dimension angenommen, die uns unter großen Zeitdruck setzt. Dabei liegt das, was wir tun müssen, doch auf der Hand: den Kohleausstieg umsetzen, CO2 einen Preis geben, den fossilen Verbrennungsmotor ersetzen, die Wirtschaft umbauen zu einer ökologischen und zukunftsfähigen. Wir müssen handeln, jetzt. Da sind die Demonstrationen der Kinder und Jugendlichen ein enormer Antreiber. Sie geben dem Klimaschutz den Schwung, den es in Deutschland jetzt braucht.

Die niedersächsischen Grünen wollen nur noch den Bauern EU-Subventionen auszahlen, die über die gesetzlichen Vorgaben hinaus etwas für den Tier- und Naturschutz tun. Der richtige Weg?

Wir müssen die EU-Förderpolitik in der Landwirtschaft schrittweise vom Kopf auf die Füße stellen und den Bauern Einkommensalternativen zum Systemzwang des "Wachse oder Weiche" geben. Sonst verschärfen wir die Probleme immer weiter, allen voran das Artensterben. Das muss man sich mal vorstellen: eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht. Das ist die zweite große ökologische Krise unserer Zeit und sie betrifft unsere Lebensgrundlagen. Deshalb: Die EU-Agrarmilliarden müssen anders eingesetzt werden: Nicht Bodenbesitzer sollten für ihre Fläche entlohnt werden, sondern Bauern sollten für den Schutz von Gewässern, Natur und Arten, für Tierwohl - also für gesellschaftliche Leistungen - Geld bekommen.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)Von Joachim Zießler


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