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Ex-SPD-Wahlkampfmanager Heino Wiese im Interview: "Jetzt muss Merkel nur noch Pofalla einsperren"

Archivmeldung vom 28.08.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 28.08.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Große Politikentwürfe sind einen Monat vor der Bundestagswahl nicht erkennbar. Die Parteien führen einen Wohlfühlwahlkampf, der drängende Fragen wie den Schuldenabbau ausblendet.

Die gezielte Langeweile ist eine kluge Strategie von Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel, sagt der Unternehmensberater und frühere Wahlkampfmanager Heino Wiese. Die SPD kann dagegen kaum etwas ausrichten.

Sie haben Erfahrung mit Wahlkampf-Kampagnen. Hat die SPD Sie schon um Rat gebeten? Heino Wiese: Die Partei nicht, aber einzelne Politiker der SPD.

Was raten Sie denen?

Wiese: Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, wie man sich in Szene setzt oder ob man ein bestimmtes Thema aufgreifen sollte oder nicht. Ich bin aber nicht derjenige, der sagt: Ihr müsst jetzt eure komplette Strategie ändern.

Die SPD hofft auf eine Aufholjagd, wie sie Gerhard Schröder 2005 gelungen ist. Wie kann Frank-Walter Steinmeier das schaffen?

Wiese: Anders als der Europawahlkampf, der viel zu aggressiv war, ist die Strategie der SPD jetzt deutlich besser strukturiert. Der "Deutschland-Plan" spielt zwar in der täglichen Wahlauseinandersetzung kaum eine Rolle, weil das alles viel zu kompliziert ist. Aber hier gibt es ein Programm, das für alle in der Partei eine Orientierung ist, das anzeigt: In diese Richtung wollen wir gehen. So vermeidet man, dass jeder die Partei anders darstellt. Der SPD-Kandidat ist glaubwürdig. Er bleibt sich treu. Ich hätte Ulla Schmidt - die ich sehr schätze - rausgeschmissen. Aber Steinmeier ist eben Steinmeier. Er ist fair ihr gegenüber, auch wenn die "Bild"-Zeitung das Thema jeden Tag neu anheizt.

Neben der Dienstwagen-Affäre scheint das Ackermann-Abendessen der einzige "Aufreger" zu sein. Können Sie sich an eine ähnlich inhaltsleere Vorwahlzeit erinnern?

Wiese: In der Sommerpause hatten wir bisher immer - übrigens bei allen Parteien - solche Ausrutscher. Aber so läuft das Spiel eben: Lass meine Ulla in Frieden, dann lasse ich deinen Ackermann in Ruhe. Das sind Themen, die mit Politik nichts zu tun haben, das sind persönliche Kleinstverfehlungen. Bei den wirklich wichtigen Fragestellungen ist es für die SPD schwer. Sagt man, "wir wollen Vollbeschäftigung", entgegnet Angela Merkel wie selbstverständlich, "ich will auch Vollbeschäftigung". Sie hat sogar das Thema Russland, das kontrovers behandelt wurde, durch ihren Besuch in Sotschi entschärft und steht letztlich als Gewinnerin da. Es ist eine ausgesprochen kluge Strategie von ihr, keine Angriffsflächen zu bieten. Wahrscheinlich hat Christian Wulff ihr dazu geraten. Er hat das auch schon erfolgreich praktiziert. Wenn man dann jemanden wie Angela Merkel unter der Gürtellinie attackiert, kommt das nicht gut an. Die Versuche von Franz Müntefering sind für die Mobilisierung der eigenen Parteimitglieder sicher sehr hilfreich, aber sie sind in der öffentlichen Wahrnehmung eher kontraproduktiv.

Die Umfragewerte für die SPD sind auch ohne Zutun der Union im Keller - hat Angela Merkel keinen Wahlkampf mehr nötig?

Wiese: Der Wahlkampf kann auch darin bestehen, dass man präsent ist, aber nichts Spektakuläres macht. Das ist die Strategie der Union. Wenn Merkel es jetzt noch schafft, Ronald Pofalla einzusperren, hat sie große Chancen, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Nur, wenn sich die Parteien - sozusagen in der zweiten Reihe - in Person ihrer Generalsekretäre noch einmal richtig beharken, könnte Merkel zu einer Positionierung gezwungen sein.

An drängenden Fragen mangelt es ja nicht. Die Rekordverschuldung des Staates etwa, die zu einem drastischen Sparkurs zwingen wird. Fehlt den Parteien der Mut zur Wahrheit?

Wiese: Alle Parteien wissen natürlich genau, was auf sie zukommt. Sie wissen auch, dass man zwar Wunschwege haben kann, dass sie sich aber auf Kompromisse einlassen müssen. Ohne eine Große Koalition hätten wir übrigens viele Probleme nie gelöst, auch wenn - etwa bei der Föderalismusreform - nicht alle Ziele erreicht worden sind. Gerade in der aktuellen Krisensituation hätte man gegenüber einer starken Opposition vieles nicht durchsetzen können.

An den Leistungen von Schwarz-Rot hat auch die SPD ihren Anteil, aber die Erfolge werden offenbar vor allem der Kanzlerin zugeschrieben. Sind die Sozialdemokraten die Verlierer der Großen Koalition?

Wiese: Als Juniorpartner in einer Großen Koalition hat man es immer schwer, sich darzustellen. Da kann man nur von Fehlern der anderen Seite profitieren. Und Angela Merkel hat Fehler vermieden. Das ist das Prinzip ihrer Politik. Steinmeier und Gerhard Schröder machen sich in Russland für Opel und die Wadan-Werften stark, und die Kanzlerin heimst die Lorbeeren ein. Das macht sie hoch professionell.

Auch die Opposition zeigt wenig Biss. Wächst mit der Anzahl möglicher Koalitionen die Beißhemmung gegenüber dem jeweiligen Wunschgegner?

Wiese: Guido Westerwelle weiß genau, dass er seine Chancen zuletzt dadurch verspielt hat, dass er zu viel wollte. Selbst wenn die FDP nur auf zwölf Prozent kommt, ist das ein Level, das die Partei nie gehabt hat. Entsprechend wird da jetzt kalkuliert. Wenn die Opposition so klein ist, hat sie es auch schwer, durchzudringen. Das wirkt, als wenn sich ein Kläffer an einem großen Baum abarbeitet. Solange Frau Merkel nicht wieder die neoliberale Meinung von Herrn Westerwelle übernimmt, hat der FDP-Chef wenig zu melden. Die Grünen sind eine Programmpartei, sie werden eher als Opposition begriffen, aber nicht als Partei, die den richtigen Weg weist. Eine staatstragende Rolle konnte sie nur in der Ära Fischer vermitteln.

Werden die kleineren Parteien vom Watte-Wahlkampf der großen profitieren?

Wiese: Das ist schwer zu sagen. Es wird am Ende die Frage sein, ob die Menschen noch eine Große Koalition wollen. Angesichts der gewaltigen wirtschaftlichen Herausforderungen werden viele Wähler sagen, "das lass mal lieber die Großen machen". Das Problem ist, dass wahrscheinlich 80 Prozent der Bürger die Ziele von Schwarz-Gelb ablehnen würden, aber nicht wirklich genau wissen, welches die Ziele sind.

Sehen Sie die Gefahr, dass die fehlende Polarisierung und Unterscheidbarkeit der Parteien zur Folge haben, dass ein Drittel der Wähler zu Hause bleibt?

Wiese: Wenn die Unionswähler davon ausgehen, dass die Wahl schon gelaufen ist und wenn es die SPD gleichzeitig schafft, ihre Wähler zu mobilisieren, ist das noch einmal eine Chance für Steinmeier. Und davor hat man im Adenauer-Haus auch richtig Angst. Die CDU kann noch nicht die Champagnerkorken knallen lassen.

Vera Lengsfeld zeigt Busen, Horst Schlämmer und Martin Sonneborns "Die Partei" persiflieren den Politikbetrieb im Kino, Franz Müntefering empfiehlt Angela Merkel, schon mal die Umzugskisten zu packen: Ernsthaftigkeit wird durch Pointen ersetzt. Was sagt das über den Zustand unserer politischen Kultur aus? Wiese: Diese Zuspitzung hat es im Wahlkampf immer gegeben. Thomas Krüger (SPD) hat vor der Wahl auch schon mal seinen nackten Hintern gezeigt. Es gab das Guido-Mobil, Karl Ravens ist hinter einem Traktor auf einem Anhänger durchs Land gefahren, Walter Scheel hat "Hoch auf dem gelben Wagen" zum Besten gegeben - es gab immer Sachen, die ein bisschen neben der Spur waren. Wenn die Politik im Kino auf die Schippe genommen wird, ist das in Ordnung. Horst Schlämmer wäre ein optimaler Koalitionspartner.

Gibt es eine Wechselstimmung - wenn auch nur in Richtung Schwarz-Gelb?

Wiese: Nein. Wenn ich als Unternehmensberater in mittelständische Firmen gehe, ist davon nichts zu spüren. Da gibt es eher die Hoffnung, dass in einer Großen Koalition Karl-Theodor zu Guttenberg eine liberale Rolle übernimmt. Es war sicher klug von der Union, diesen vermeintlichen Superstar noch schnell aufzubauen.

Lässt sich Wechselstimmung durch Wahlkampf erzeugen?

Wiese: Gerhard Schröder hat ja gezeigt, dass das geht. Dazu bedarf es aber einer echten Zuspitzung. Aber entscheidend ist dann, dass die Medien darauf anspringen. Dann kann man jedes Thema aufblasen, zum Beispiel die Schweinegrippe zur Pandemie machen, auch wenn andere Grippeviren viel gefährlicher sind. Was hätte die "Bild" aus dem Ackermann-Abendessen gemacht, wenn das bei einem SPD-Minister stattgefunden hätte.

Kommt der Bundestagswahlkampf nach den Landtagswahlen am Sonntag noch einmal richtig in Schwung?

Wiese: Wenn sich im Saarland Rot-Rot abzeichnet, wird das sicher ein Thema sein, das die Union hochzieht. Andersherum könnte es auch sein, dass ein paar Prozentpunkte Zuwachs der SPD einen Motivationsschub geben. Es ist noch nichts entschieden. Christian Wulff hat innerhalb von zweieinhalb Monaten die Stimmung in Niedersachsen komplett umgedreht. Noch im Dezember 2002 war die Wahrnehmung: "Der kann das nicht." Im Februar war er dann der strahlende Sieger. Wenn der richtige Waggon vorbeifährt, muss man auf den aufspringen. Den zu erkennen und zu nutzen, war eine von Schröders großen Stärken.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg

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