Prien will jüdisches Leben aus reiner Opferperspektive holen

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Die neue Bundesbildungs- und Familienministerin Karin Prien (CDU) kritisiert, dass jüdische Menschen in Deutschland "primär immer noch in ihrer Opferrolle, nämlich als Opfer von Antisemitismus, gesehen" würden. "Mein Ziel ist es, jüdisches Leben in seiner Vielfalt heute sichtbarer zu machen - auch in der Bedeutung für die Identität der Deutschen", erklärte sie im "Spiegel".
Prien ist die erste Bundesministerin in der Bundesrepublik, die selbst
jüdische Wurzeln hat und dies öffentlich thematisiert. Die Juristin ist
im niederländischen Amsterdam geboren. Dort hatten sich ihre Eltern
kennengelernt, deren Familien vor den Nazis geflüchtet waren.
Als
Prien vier Jahre alt war, zog sie mit ihren Eltern nach Deutschland und
wuchs in Neuwied in Rheinland-Pfalz auf. Über ihre Familiengeschichte
sprach die CDU-Politikerin, die auch Sprecherin des Jüdischen Forums der
Union ist, erstmals öffentlich 2016.
Dass sie lange Zeit
gezögert habe, über ihre Familiengeschichte zu sprechen, hat Prien
zufolge viel mit Warnungen ihrer Mutter zu tun. "Meine Mutter hatte 1969
tief verinnerlicht, dass wir nach unserem Umzug nach Deutschland wieder
im Land der Täter waren. Ihre Grundhaltung war: Du weißt nie, wenn du
jemandem gegenübertrittst, ob er nicht eigentlich ein Nazi ist", sagte
Prien dem "Spiegel".
Als Kind habe sie das zur Kenntnis genommen.
"Später, als Jugendliche, habe ich sehr stark angefangen, mich mit
Deutschland zu identifizieren, und da bin ich mit der Haltung meiner
Mutter in einen gewissen Konflikt gekommen", erklärte die
CDU-Politikerin. "Ich war ja der Überzeugung, ich lebe hier in einem
anderen, freien Deutschland, das sich den Grund- und Menschenrechten
verpflichtet fühlt."
Als sie 2016 öffentlich ihre Herkunft
thematisiert hatte, seien die Reaktionen nicht nur positiv ausgefallen.
Die Politikerin erzählte, sie habe kurz zuvor in der Jerusalemer
Gedenkstätte Yad Vashem ein prägendes Erlebnis gehabt. Die Tochter eines
Holocaust-Überlebenden, etwa in Priens Alter, habe erzählt, "wie ihr
immer bewusst ist, dass sie gar keine Cousins oder Cousinen hat, sie
fühlte sich wie ein Baum ohne Äste." Darin habe sie sich plötzlich
wiedererkannt, sagte die Ministerin.
"Meine Verwandten sind
entweder umgebracht worden oder ausgewandert." Prien erklärte, sie habe
dann ihre Rolle als Politikerin nutzen wollen, um auf jüdisches Leben
und Antisemitismus aufmerksam zu machen. Derzeit verschärfe sich der
Antisemitismus in Deutschland eher, als dass er schwächer würde. "Anfang
der Nullerjahre gab es eine Phase, in der prominente Vertreter der
jüdischen Community gesagt haben: Mein Koffer steht inzwischen irgendwo
auf dem Dachboden", sagte Prien. "Viele von denen sagen heute wieder:
Mein Koffer ist schon wieder in Sichtweite. Allerdings stellt sich auch
die Frage, wohin man denn eigentlich gehen könnte."
Quelle: dts Nachrichtenagentur