EU-Parlament weist alle Verbesserungsvorschläge der Patentgegner zurück
Archivmeldung vom 07.07.2005
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 07.07.2005 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNach fünf Jahren der Beratung über die Patentierbarkeit von Hightechinnovationen in Europa hat das Europäische Parlament alle von den Patentgegnern der verschiedenen Fraktionen vorgelegten Änderungsvorschläge mit überwältigender Mehrheit abgewiesen.
Damit wurde ein Stück Gesetzgebung verworfen, das die bestehende Praxis der Mitgliederstaaten des Europäischen Patentamts hätte harmonisieren können.
Die Entscheidung wird für die Beteiligten unterschiedliche Folgen
haben. Das betrifft insbesondere Unternehmen, die europäische
CII-Patente besitzen, die weiter darüber im Unklaren gelassen werden,
ob ihre Patente in bestimmten Ländern des Geltungsbereichs des
Europäischen Patentamts gültig sein werden, wogegen diejenigen, die
gegen strikt gegen Urheberrechtsgedanken waren in diesem Feld, sich
nach wie vor dem Status quo gegenübersehen.
Simon Gentry von der Campaign for Creativity meinte, das heute
Ergebnis zeige, dass die Mehrheit des Europäischen Parlaments nicht
darauf vorbereitet war, der gefühlsgeladenen Angst und Unsicherheit,
die die Patentgegner vermittelt hatten, Glauben zu schenken. Es gab
eine klare Mehrheit, die verstand, dass diese Vorschläge die
Innovation in der Hightechbranche in Europa bremsen würden.
"Aber die heutige Entscheidung bedeutet auch, dass Europa eine
Gelegenheit verpasst hat, eine gemeinsame Basis für
Hightechinnovationen zu finden, die Erfolge und Entwicklungen in
diesem Bereich weiter fördern würde.
"Die Unternehmen, die hinter der Campaign for Creativity stehen,
haben immer daran geglaub, dass diese Richtlinie ihnen Vorteile im
Sinne einer Stärkung ihrer Urheberrechte bringen würde.
"Ebenso wichtig ist, dass die kleinen und mittleren Unternehmen
(KMU), die die Richtlinie unterstützten, diese als den Anfangspunkt
einer längst notwendigen Reform des derzeitigen Patentsystems sahen.
Das heutige Ergebnis ändert daran nichts, und wir hoffen, dass alle
im Rahmen der CII-Debatte aufgeworfenen Fragen zu einer umfassenderen
Patentreform und zur Stärkung der europäischen Position im globalen
Wettbewerb führen wird."
Benno Hijl, Executive Director von 3D ID, einem niederländischen
auf Suchmaschinentechnologie spezialisierten Softwareunternehmen, das
die Richtlinie befürwortet, glaubt, dass das heutige
Abstimmungsergebnis ein gutes Ergebnis ist.
"Als kleines Unternehmen, das nur den Patentschutz als Mittel zum
Aufbau des Unternehmens besitzt, brauche ich mir keine Sorgen zu
machen, da ich weiss, dass die Investitionen in Wissen, Geld und
Ressourcen in die Produkte des Unternehmens nicht umsonst gewesen
sein können.
"Einige Auswirkungen der heute debattierten Vorschläge hätten,
hätte man ihnen zugestimmt, meine Innovationen wertlos machen können.
Ich verstehe die Bedenken derer, die gegen die Richtlinien waren,
aber es ist auch klar, dass die Gegner zu weit gegangen sind. Ich
glaube, das Europäische Parlament strebt nun eine allgemeinere Reform
des europäischen Patentsystems an, statt den Schwerpunkt auf die
Softwarepatente allein zu richten, was das Gesamtbild dessen, was
Europa tatsächlich braucht, verzerrt hat."
Dr. Julian Potter, ein Partner des IP-Unternehmens (IP,
Intellectual Property) Mintz Levin, glaubt, dass die heutige
Abstimmung der einzige Weg war, europäischen Softwareunternehmen
einen wirksamen patentrechtlichen Schutz für ihre Softwareerfindungen
zu bieten.
"Diejenigen, die gegen den Patentschutz für Softwareerfindungen
waren, haben die Richtlinie als Gelegenheit zur Verringerung des
Umfangs des patentrechtlichen Schutzes für Softwareerfindungen
angesehen. Nun bleibt der Patentschutz der gleiche, wie bisher, und
schützt somit auch Softwareerfindungen", so Potter weiter.
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Diese Äußerungen stammen aus einer Presseerklärung von Campaign for Creativity.
Die CDU/CSU Bundestagsfraktion gibt zu dem Thema die nachfolgenede Presseerklärung heraus:
Anlässlich der Ablehnung der EU-Richtlinie über die
„Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen“ (auch genannt
Software-Patent-Richtlinie) durch das Europäische Parlament, erklärt
der Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für „Geistiges
Eigentum“, Dr. Günter Krings MdB:
Die Ablehnung der Richtlinie durch das EU-Parlament ist letztlich
konsequent. Anders als die Bundesregierung hat das Europäische
Parlament die Interessen der mittelständischen Software-Wirtschaft in
den Mittelpunkt seiner Entscheidung gerückt und sich damit die Kritik
des Deutschen Bundestages an Teilen des Richtlinienentwurfs zu eigen
gemacht. Gerade die deutsche Software-Branche ist mittelständisch
geprägt und hatte nicht gänzlich unberechtigte Sorgen, dass die
nunmehr gescheiterte Richtlinie die Patentierung von Software
erleichtern und damit ihre Wettbewerbsposition gegenüber großen
Software-Unternehmen hätte schwächen können.
Obwohl die zuletzt vorliegende Entwurfsfassung einer Reihe von
Bedenken Rechnung getragen hatte, hat es der EU-Rat nicht vermocht,
die Sorgen vor einer zu weitgehenden Patentierbarkeit von Software zu
entkräften. Die deutsche Bundesregierung hätte - ausgestattet mit
einem einstimmigen und sachlich ausgewogenen Bundestagsbeschluss im
Rücken - die Möglichkeit gehabt, einen vernünftigen
Interessenausgleich schon in den Beratungen des Rates herbeizuführen.
Die Justizministerin blieb in dieser für den deutschen Mittelstand so
wichtigen Frage aber weitgehend untätig. Das Scheitern der Richtlinie
geht damit insbesondere auf das Konto der Bundesregierung. Sie hat
die wirtschaftliche Bedeutung des Themas nach wie vor nicht erkannt.
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Auch der FFII (Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur e.V.) äußerte sich einer Presseerklärung ausführlich und mit einigen Links zu dem Thema:
Das Europäische Parlament entschied
heute mit großer Mehrheit, die Richtlinie "zur Patentierbarkeit
computerimplementierter Erfindungen", auch bekannt als die
Softwarepatentrichtlinie, abzulehnen. Diese Ablehnung war
die schlüssige Antwort auf die Weigerung der Kommission vom
Februar, den Gesetzgebungsprozess neu zu starten, und auf den
Unwillen des Ministerrates, die Beschlüsse des Europaparlaments
und der nationalen Parlamente zu berücksichtigen. Der FFII
beglückwünscht das Europäische Parlament für sein klares
"Nein" zu schlechten Gesetzesvorlagen und Verfahrensweisen.
Dies ist ein großer Sieg für jene, die sich dafür eingesetzt
haben, sicher zu stellen, dass Europäische Innovation
und Wettbewerbsfähigkeit vor der Monopolisierung von
Software-Funktionalitäten und Geschäftsmethoden geschützt
bleibt. Damit wird dem Versuch der Europäischen Kommission
und ministerieller Patentbürokraten, den Mitgliedstaaten
schädliche und gesetzlich fragwürdige Praktiken des
Europäischen Patentamtes (EPA) aufzuzwingen, ein Ende gesetzt.
Allerdings bleiben die Probleme, die von jenen Praktiken
her rühren, bestehen. Der FFII ist der Auffassung, dass die
Arbeit des Parlaments, insbesondere das parteiübergreifende
Kompromisspaket aus 21 Änderungsvorschlägen, eine gute
Grundlage bietet, auf welcher zukünftige Lösungen, sowohl auf
nationaler als auch auf europäischer Ebene aufbauen können.
Jonas Maebe, FFII-Vorstandsmitglied, kommentiert das Ergebnis
der heutigen Abstimmung:
"Dieses Ergebnis zeigt deutlich, dass gründliche Analyse,
aufrichtig besorgte Bürger und faktische Informationen
größere Wirkung haben als freie Eiskrem, Schiffsladungen
gemieteter Lobbyisten und Auslagerungsdrohungen.
Ich hoffe, dass diese Wende des Geschehens einigen
Menschen wieder Vertrauen in die europäischen Prozesse
der Entscheidungsfindung geben kann. Ich hoffe auch,
dass sie den Rat und die Kommission dazu ermutigen wird,
es dem Parlament nach zu tun, um die Transparenz und die
Möglichkeiten der Betroffenen, am Entscheidungsprozess
unabhängig von ihrer Größe teilzunehmen, zu verbessern."
Hartmut Pilch, Präsident des FFII, erklärt, warum der FFII
die Ablehnungsanträge in seinen Abstimmungsempfehlungen
unterstützt hat:
"In den letzten Tagen schlossen die Besitzer zahlreicher vom
EPA erteilter Softwarepatente und deren Europaabgeordnete,
die zuvor für die Ratsposition geworben hatten, sich den
Vorschlägen zur Ablehnung der Richtlinie an, weil klar wurde,
dass die 21 parteiübergreifenden Änderungsvorschläge
der Abgeordneten Rhoitová, Buzek, Rocard und Duff gute
Aussichten auf Annahme durch das Parlament hatten.
Es wurde immer deutlicher, dass Unterstützung für
dieses Kompromisspaket oder für große Teile davon zur
Mehrheitsmeinung in allen Fraktionen wurde. Dennoch hätte
eine entsprechende Abstimmung nicht viel ausgerichtet.
Wir stimmen der Einschätzung der Lage zu, wie sie in der
gestrigen Vollversammlung von MdEP Karas und heute vom
Berichterstatter Michel Rocard gegeben wurde: Ein "Nein"
war die einzig schlüssige Antwort auf die unkonstruktive
Haltung und die gesetzlich fragwürdigen Manöver der
Kommission und des Rates, durch welche dessen sogenannter
`Gemeinsamer Standpunkt' überhaupt zustande gekommen war."
Der FFII möchte sich auch bei all den Menschen bedanken, die
sich die Zeit genommen haben, ihren Vertreter mittels E-Mail,
Telefon oder persönlich anzusprechen. Ebenso möchten wir uns
bei den zahlreichen Freiwilligen bedanken, die so großzügig
ihre Zeit und Arbeit investiert haben. Dies ist genauso ihr
Sieg wie der des Parlaments.
Hintergrundinformationen und weitere Nachrichten
* 21 parteiübergreifende Kompromissvorschläge:
http://swpat.ffii.org/papers/europarl0309/amends05/komprom0506.en.pdf
* FFII-Abstimmungsempfehlungen für die heutige Plenarabstimmung:
http://swpat.ffii.org/papers/europarl0309/amends05/ffiivotlst050706.pdf
* Praktiken des Europäischen Patentamts:
http://webshop.ffii.org/
http://swpat.ffii.org/patents/
http://gauss.ffii.org/
* Karas' Rede im Plenum gestern:
http://wiki.ffii.org/Karas05075En
* 23 unbeantwortete Fragen zu dem Schaustück der Verabschiedung
einer "Gemeinsamen Position" des Rates:
http://wiki.ffii.org/LtrFfiiCons050308En
* Prominenter Artikel des Wallstreet Journals über Lehnes
Interessenkonflikt:
http://wiki.ffii.org/WsjLehne050705En
* Bleiben Sie informiert mittels unseres Newstickers: http://wiki.ffii.org/SwpatcninoEn