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Der Kunde mit dem leeren Geldbeutel

Archivmeldung vom 03.03.2012

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 03.03.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Rund 1,5 Millionen Menschen gehen in Deutschland regelmäßig zu einer Tafel. Foto: Jan-Peter Kasper/FSU
Rund 1,5 Millionen Menschen gehen in Deutschland regelmäßig zu einer Tafel. Foto: Jan-Peter Kasper/FSU

Der Kunde ist König, so lautet ein geflügeltes Wort. Doch trifft das auch auf die bei den „Tafeln“ Kunden genannten Menschen zu? Sind die Besucher jener Stätten, an denen kostenlos Lebensmittel verteilt werden, überhaupt Kunden?

„Streng genommen sind die Besucher der Tafeln keine Kunden, denn bei den Tafeln sind sie vom Markt ausgeschlossen“, sagt Dr. Stephan Lorenz von der Universität Jena. Eher sei es umgekehrt: Wer kein Kunde mehr ist, der geht zur Tafel, konstatiert der Soziologe, der seit Jahren das Phänomen der Tafeln untersucht. Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht seien die Tafeln keine Reaktion auf den Mangel an Lebensmitteln bei einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, vielmehr würden die Tafel-Besucher durch die Lebensmittelpakete ihr knappes Haushaltsbudget entlasten. Dieser Befund schließe keineswegs aus, dass es in Deutschland Menschen gibt, die Hunger leiden. Für die Mehrzahl der Tafel-„Kunden“, nach Angaben des Tafel-Bundesverbands heute 1,5 Millionen Menschen, seien jedoch andere Gründe ausschlaggebend.

„Wer zur Tafel geht, der hat in der Gesellschaft keine Wahl mehr“, sagt Lorenz. Der Soziologe nennt „Optionsvielfalt und Wahlfreiheit“ als aktuelle Prämissen der heutigen Gesellschaft. Grob ließen sich die Menschen in verschiedene Kategorien einteilen, so Lorenz: Einige haben die Freiheit, aus dem Überangebot auswählen zu können, andere seien eher gezwungen zu wählen und eine letzte Gruppe habe keine Wahl mehr. In diese letzte Kategorie fallen nach Ansicht des Jenaer Soziologen die Tafel-„Kunden“. Ihnen stehen ehrenamtliche Helfer gegenüber, die ihre Tätigkeit als eine der Wohlfahrt interpretieren. Dabei erodiere jedoch schleichend das System des Sozialstaats, weil die Leistungen der inzwischen etwa 900 Tafeln in Deutschland freiwillig bleiben: „Auf die Leistungen der Tafeln gibt es keinen Rechtsanspruch“, sagt Lorenz. Dennoch werde der freie Zugang vielerorts durch sogenannte Tafel-„Ausweise“ und ähnliches reglementiert.

Ernüchternd fällt auch das Fazit des Jenaer Wissenschaftlers zur Öko-Bilanz des Tafel-Engagements aus. Zwar seien im Vorjahr die Tafeln in Deutschland mit einem Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet worden, doch trete dabei ein Widerspruch klar zutage: „Die Tafeln in Deutschland verteilen nur, was sonst weggeworfen werden würde“, sagt Stephan Lorenz. Einen Beitrag gegen die Wegwerfmentalität vermögen die Tafeln demnach nicht zu leisten. Im Gegenteil: Nur weil so viele Lebensmittelüberschüsse erzeugt und dann aussortiert werden, können sie verteilt werden. Die Tafeln bringen ergo eher einen Beitrag zur Verfestigung von Strukturen als einen Beitrag zu ihrer Überwindung.

Stephan Lorenz hat seine Forschungsergebnisse zum Thema aktuell in einem Buch veröffentlicht: „Tafeln im flexiblen Überfluss. Ambivalenzen sozialen und ökologischen Engagements.“ Darin wirft der Jenaer Soziologe auch einen Blick über die Landesgrenzen hinaus. Denn die Tafeln sind längst ein internationales Phänomen geworden. Ursprünglich aus den USA gekommen, verbreitet sich die Idee um den Globus. Sogenannte Food-Banks gibt es inzwischen sogar in Indien.

Quelle: Friedrich-Schiller-Universität Jena

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