Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Schieder-Skandal
Archivmeldung vom 06.06.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Terminkalender ist oft ungnädig. Ausgerechnet gestern standen in Schieder Gespräche mit Begros an. Der Einkaufsverband vertritt einige der größten Möbelhaus-Ketten in Deutschland. Doch wie soll der Verkäufer jetzt Innovationen anpreisen? Wie über Preise verhandeln?
Es hilft nicht. Trotz des neuen Super-Gaus muss es bei Europas
größtem Möbelhersteller weiter gehen. Irgendwie. Solange wie möglich.
Ein Super-Gau ist es, was da in Lippe geschieht. Schon dass das
Flaggschiff zahlungsunfähig geworden ist, war für Konzern und
Beschäftigte Anfang April wohl der größte anzunehmende Unfall.
Zulieferer und Kunden drohten in Mitleidenschaft gezogen zu werden.
Doch noch konnte man es als Unfall deuten. Das Geflecht von
Unternehmen schien stark genug für einen Neuanfang.
Das Alles ist nun, da Bilanzfälschungen in einem Volumen von 34
Millionen Euro offensichtlich geworden sind, in höchster Gefahr. Die
Belegschaft, die diese Folter durchleben muss, kann sich des
Mitgefühls der Branche und der Region Ostwestfalen-Lippe sicher sein.
Die Sympathie mit den 11000 Beschäftigten entbindet allerdings nicht
von der Frage, wie es dazu kommen konnte: Wieviel kriminelle Energie
war nötig, um selbst die Fachleute bei den Banken hinters Licht zu
führen?
Hinterher ist man immer schlauer.
Hinterher scheint es ganz einfach.
Da ist ein Geflecht von 120 Firmen, von denen viele weder produzieren
noch verkaufen. Ein solches Gebilde ist doch wie geschaffen, um
Umsätze oder Gewinne hin und zu schieben.
Es kann natürlich auch sein, dass es für die Vielzahl der Unternehmen
wenigstens zu Anfang ganz andere Gründe gegeben hat. Vielleicht waren
sie sogar ein Instrument, um möglichst viele leitende Mitarbeiter wie
Unternehmer agieren zu lassen.
Hinterher ist man immer schlauer. Vielleicht waren sich Rolf Demuth
sowie die Finanzleute Samir Jajjawi und Heinrich Griem auch »100
Prozent sicher«, das Unternehmen durch eine kurze Krise wieder nach
oben führen zu können. Die Wolken am Konjunkturhimmel schienen sich
schon aufzulösen. Noch eine kurze Zeit, und auch die Banken würden
wieder zufrieden sein.
Die »kurze Zeit« reichte allerdings aus, um 34 Millionen Euro
fehlzubuchen und 283 Millionen Kredit zu erschleichen.
Hinterher ist man immer schlauer. Dies sagen sich jetzt sicher auch
die Beschäftigten. Nicht nur, dass sie diese Trickserei Demuth und
den anderen nicht zugetraut haben. Auch das Verhalten der Banken
steht jetzt zwangsläufig in einem Licht.
Zum Glück bleibt es dabei, dass trotz der Demonstrationen Anfang Mai
vor der Zentrale der Deutschen Bank Arbeitnehmer und Geldgeber heute
im gleichen Boot sitzen. Beide haben mehr davon, wenn der Konzern
weiter produziert. Der Preis allerdings ist gestiegen. Für beide
Seiten. Für die Banken, weil sie nun ein noch größeres Loch füllen
müssen. Für die Belegschaft, weil die Einschnitte - Stilllegungen und
Verkäufe - ebenfalls noch tiefer ausfallen werden.
Quelle: Pressemitteilung Westfalen-Blatt