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Wolfgang Kessler: Die harte Kapitalismuskritik des Papstes kommt zur rechten Zeit

Archivmeldung vom 28.12.2013

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 28.12.2013 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Doris Oppertshäuser

Die harte Kritik von Papst Franziskus am Kapitalismus hat viele Beobachter schockiert. Dabei kommt seine Abrechnung gerade zur rechten Zeit. Denn die Kritik am globalen Kapitalismus, die nach der Finanzkrise laut geworden war, ist längst verstummt. Dafür blühen die Träume von hohen Renditen, steigenden Vermögen und wachsenden Märkten wie in alten Tagen. Der Tanz um das goldene Kalb ist wieder voll im Gange.

Dennoch ist Franziskus von einer platten Systemkritik weit entfernt, die da sagt: Weg mit dem Kapitalismus - auf zum Kommunismus. Er urteilt nicht wie ein Wirtschaftswissenschaftler darüber, ob der Markt oder ein Plan die beste Möglichkeit ist, um Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen. Der Papst kritisiert in seinem Rundschreiben "evangelii gaudium" (Freude des Evangeliums) vielmehr die "Tyrannei des vergötterten Marktes" und die Herrschaft des Geldes über den Menschen. Der Tanz um das goldene Kalb entwerte die Beziehungen der Menschen zueinander - und damit das menschliche Leben überhaupt.

Damit beschreibt der Argentinier Jorge Bergoglio, seit neun Monaten Papst, in drastischen Worten die Folgen der wirtschaftspolitischen Revolution, die die Welt seit 25 Jahren erlebt. Die Mehrheit in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft orientiert sich am marktradikalen Denken. Danach ist der freie Markt effizienter als der Staat; privat ist wirtschaftlicher als öffentlich; Gewinne schaffen Arbeit, Löhne sind Kosten. Man müsse die fettesten Pferde füttern, damit auch für die Spatzen mehr Pferdeäpfel abfallen, sagte die frühere britische Premierministerin Thatcher. Diese Philosophie hat die Welt revolutioniert. Herausgekommen ist ein globaler Finanzkapitalismus, der fast alle Wirtschafts- und Lebensbereiche einem harten Konkurrenzkampf unterwirft. Die Politik hat an Macht verloren, weil ihre Kompetenzen an der Landesgrenze enden, während die Wirtschaft diese Grenzen überspringt.

Zugegeben, diese Revolution hatte auch Vorteile. Sie hat in den "sozialen Marktwirtschaften" das Bewusstsein dafür gestärkt, dass Leistungen auch Kosten verursachen, dass staatliche Schulden später von jemandem bezahlt werden müssen. Viele Menschen in den Schwellenländern haben von dem globalen Kapitalismus profitiert. 500 Millionen Chinesen, Inder, Indonesier oder Brasilianer bilden heute eine Art Mittelschicht. Aber die sozialen, ökologischen und ethischen Kosten dieser Entwicklung sind enorm hoch. Die 250 reichsten Menschen der Welt besitzen so viel wie 48 Prozent der Menschheit. Eine Milliarde Menschen lebt von weniger als 1,25 Dollar pro Tag. "Diese Ausgeschlossenen sind nicht nur Ausgebeutete, sie werden behandelt wie Müll", schreibt der Papst. Das Menschenbild hat sich verändert. Gefragt ist der "homo oeconimicus", der nur tut, was ihm nutzt. Es zählt nur noch, wer und was sich rechnet. In die Pflege, in die Gesundheit, in Schulen, Universitäten, ja sogar in Beziehungen sind betriebswirtschaftliche Kriterien eingezogen. Wer dabei nicht mithalten kann, wird ausgegrenzt. Doch selbst viele, die gut verdienen, fühlen sich als Getriebene einer Wirtschafts-Maschinerie, die sie kaum mehr beeinflussen können. Kaputte Beziehungen, entfremdete Kinder und psychische Probleme zeugen davon.

Der Beinahe-Bankencrash 2008 gab den Kritikern des Finanzkapitalismus Recht und machte Hoffnung auf Veränderung. Plötzlich waren Regeln für die Märkte gefragt, Regulierung wurde zum Zauberwort. Doch jetzt, mehr als fünf Jahre nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, schwappt die Welle zurück. Zwar gelten nun einige neue Regeln, doch die große Regulierung ist ausgeblieben. Die Spekulation geht weiter, die Hedgefonds blühen. Flüchtlinge aus den armen Ländern sterben auf dem Weg in die Wohlstandsländer. Die "Globalisierung der Gleichgültigkeit", die der Papst geißelt, ist mit Händen zu greifen. Als hätte es nie eine ökologische Diskussion gegeben, orientieren sich die Regierungen der wichtigsten Länder wieder an Freihandel und Wirtschaftswachstum - auf Kosten der Umwelt. In dieser Lage ist die Kritik des Papstes nur zu berechtigt. Er spricht nicht als Ökonom und hat kein alternatives Wirtschaftsprogramm. Aber er setzt klare ethische Maßstäbe an jedes Wirtschaftssystem, egal, wie es heißt: Es muss den Menschen dienen und nicht umgekehrt.

- Wolfgang Kessler ist Wirtschaftspublizist und Chefredakteur der christlichen Zeitschrift Publik-Forum. Von ihm erschien gerade das Buch "Zukunft statt Zocken. Gelebte Alternativen zu einer entfesselten Wirtschaft".

Quelle: Badische Zeitung (ots)

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