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Leipziger Volkszeitung zu Inzest-Fall in Österreich

Archivmeldung vom 29.04.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.04.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Österreich gehört zu den glücklichen Ländern, in denen eine Frau nachts allein durch den Park gehen kann, ohne sich fürchten zu müssen. Gefährlich wird es erst, wenn sie nach Hause kommt. Der bittere Schluss drängt sich auch nach dem unfassbaren Fall von Amstetten wieder auf, wo ein Vater seine Tochter ein Vierteljahrhundert im Keller gehalten hat.

Es ist keine zwei Jahre her, da diskutierte ganz Österreich über ein Jahrhundertverbrechen. Nach der geglückten Flucht der Natascha Kampusch aus ihrem Kellerverlies war das Entsetzen groß. Bald überwog aber in der Öffentlichkeit die zufriedene Selbstgewissheit, ein solcher Fall sei ein Novum, ein monströses Einzelverbrechen, das sich so schnell nicht wiederholen werde. Seit dem letzten Wochenende wissen wir es besser: In einer Art Schockstarre verfolgt die Alpenrepublik das Martyrium von Amstetten. Auch diesmal heißt es, dieser Fall sei einzigartig - doch das Grauen hinter den Fensterscheiben von Privatwohnungen ist es offenkundig leider nicht. Neben der Aufklärungsarbeit drängt es viele zum Aktionismus. Aber kann man wirklich so schnell etwas tun? Der Beziehungskriminalität, der schlimmsten in dem friedlichen Lande, kommt man weder mit Überwachungskameras noch mit geschlossenen Grenzen bei. Auch wer mehr Koordination zwischen den Behörden fordert, könnte bald auf einen Holzweg geraten. Was nottut, um Schreckensfälle wie den von Amstetten zu vermeiden, ist Aufmerksamkeit, Interesse, Mitgefühl - das also, was irreführend oft als soziale Kontrolle vorurteilsschwer verschmäht wird. Gemeint sind aber nicht missgünstige Rentner, die sich Autokennzeichen von Parksündern aufschreiben, sondern Lehrer, Nachbarn oder Sozialarbeiter, die auch einmal eine Frage stellen. Das traut sich nur, wer beim Fragen ein gutes Gewissen haben darf - weil er nicht als Voyeur oder als Ankläger auftritt. Kurz gesagt: Nötig ist eine Kultur des zwischenmenschlichen Respekts. Sie macht Fragen erst möglich. Das vernachlässigte Kleinstädtchen Amstetten hat es bis zum Sonntag nie in eine Fernseh-Reportage geschafft. Wenn Felix Austria, das glückliche Österreich, um Touristen wirbt, versteckt man Amstetten gern hinter dem Vorhang. Vieles spricht dafür, dass auch die lokalen Behörden ihren Anteil an der allgemeinen Gleichgültigkeit haben. Aber das Problem liegt weit tiefer. Um ihm beizukommen, muss man nicht gleich in die Abgründe der menschlichen Natur entfleuchen oder die Anonymität der modernen Gesellschaft beklagen. In Amstetten mit seinen 23000 Einwohnern ist weniges anonym. Doch die Eisenbahnarbeiter, die den Ort geprägt haben, stehen schon lange im toten Winkel der Geschichte. Weil sich niemand für einen interessiert, interessiert man sich auch nicht für einander. Alle sind ein Stück weit mit schuldig - bis hin zu uns Konsumenten von idyllischen rot-weiß-roten Österreich-Reportagen.

Quelle: Leipziger Volkszeitung

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