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Europa der Banken oder der Vaterländer?

Archivmeldung vom 08.06.2005

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.06.2005 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Michael Dahlke

Natürlich jammern alle die es zu Anerkennung gebracht hatten über das Wahlergebnis in Frankreich zur EU-Verfassung. Die Franzosen wollen kein Europa der Banken und Finanzyuppies, sie wollen ein anderes Europa, möglichst eines für Menschen. 70% Wahlbeteiligung in Frankreich, das gab es selten, weil es selten eine Auswahl gab. Davon 55% "Non!", das war eindeutig. Der Spatz schimpft

Eindeutig, weil es dieses Mal um etwas ging. Nur Wut auf die Regierung? Sicherlich auch, es gibt genug Anlaß dazu! Aber die stand hier nicht zur Diskussion, auch wenn Auftragsintellektuelle und Medienmäuler das so sehen wollen, um vom Charakter der Verfassung abzulenken und davon, daß die Bevölkerung merkt, wohin man sie führt. Die Bevölkerung hat es gemerkt, nicht die Abgeordneten. Denn bei einer Kurzbefragung der Bundestagsabgeordneten nach einigen wenigen zentralen Tatbeständen aus der neuen EU-Verfassung unmittelbar vor der Abstimmung im Bundestag stellte sich heraus, daß die Leute keine Ahnung hatten, was in dem 482-seitigen Verfassungstext stand, über den sie gleich abstimmen würden. Ihre Antworten enthielten ein paar meist falsche Allgemeinplätze, die mit dem "Lächeln" des ertappten Unwissenden und einem "denke ich" garniert abgesondert wurden. So erklärt sich die große übereinstimmende Zustimmung des gewählten, "Stimmviehs" im Deutschen Bundestag. Es soll seinem "Gewissen" verantwortlich sein, aber wo ist "Ge-wissen" (wie Ge-birge als Inbegriff vieler Berge), wenn man nichts weiß.

482 Seiten, das ist viel. Wer bringt schon die Konzentration für so viel Juristen-europäisch auf? Viele Franzosen haben es trotzdem versucht: Die EU Verfassung war der Bestseller der letzten Monate in Frankreich - anders als hierzulande. Ich glaube nicht, daß sie sehr weit bei ihrer Lektüre gekommen sind - und das ist bei diesem Text durchaus beabsichtigt. Aber schon die Präambel hatte sie stutzig gemacht. Die Ansprüche der Menschen auf soziale Grundversorgung wie Bildung und Gesundheitswesen kommen nur in vagen Formulierungen vor. Hierzu "trägt (die Union lediglich) bei" und zwar unter Achtung der Vielfalt der Kulturen und Traditionen der Völker Europas etc. "Sicher stellt" sie dagegen die Ansprüche privater Vermögender auf "freien Personen-, Dienstleistungs-, Waren- und Kapitalverkehr". Das mögen kleine Unterschiede sein, im Hinblick auf die unser Bundeskanzler in seiner Werberede empfahl "nicht allzu kleinlich auf diesen oder jenen Halbsatz zu sehen, der vielleicht nicht ganz den Erwartungen entspricht". Holla, es geht um eine "Verfassung", die das Zusammenleben von Menschen über Jahrzehnte grundlegend regeln soll! Da soll man "nicht allzu kleinlich hinsehen"? Wo denn sollte man kleinlicher hinsehen - aufs Kleingedruckte beim Kauf einer Waschmaschine etwa? Eine seltsame Empfehlung einer seltsamen Regierung (und Opposition).

Schaut man weiter in den Text der Verfassung, dann findet man, daß soziale Versorgungsrechte nur "nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten" gelten sollen oder "nach Maßgabe des Unionsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten". Solche "Maßgaben" lassen sich beliebig ändern. So unklar und verschwommen ist man bei den privaten Eigentumsrechten nicht; sie werden aller sozialen Verpflichtung entledigt. Die Sozialbindung des deutschen Grundgesetztes wird damit ausgehebelt und der jeweiligen Beliebigkeit der Regierenden anheimgestellt. Haben die Franzosen nicht Recht, wenn sie die Verfassung als Ausdruck des "Neoliberalismus" ablehnen, dessen Segnungen ihre Regierung sie in den letzten Jahren nachhaltig am eigenen Leib hat spüren lassen.

"Aber die Verfassung sorgt doch für mehr Demokratie und sichert die Rechte des Parlaments". Tatsächlich versuchen die Texte teilweise diesen Eindruck zu erwecken. Der Rat und das weitgehend selbstherrlich regierende Bürokratengremium, Kommission, sei dem Parlament "rechenschaftspflichtig". Doch welche Mittel stellt die Verfassung dem gewählten Parlament tatsächlich zur Verfügung, seine Kontrolle auch durchsetzen zu können? Nun mag man aus gutem Grund an der Wirksamkeit von "Rechten" zweifeln, wenn diese nicht wahrgenommen werden. Was nützte eine Mitbestimmung, ohne Leute, die mitbestimmen können, weil sie neben "Forderungen" auch Vorstellungen entwickelt haben, wie die Voraussetzungen zur Erfüllung der Forderungen zu schaffen wären? Wer kann etwas bewirken, wenn der Lauf der Wirtschaft allein von den Geldgebern abhängen soll. Werden "Rechte" schon in der Verfassung hinterhältig formuliert, sollte man ihren Verfassern und Verfechtern noch Schlimmeres zutrauen!

Was das sein könnte? Vielleicht eben der "Fahrplan der Deutschen Politik" nach der Wiedervereinigung, wie ihn Hans Arnold am 18. Mai 1990 in Die Zeit unter der bezeichnenden Überschrift "Deutschland muß sich selbst entmachten" dargelegt hat. Arnold war deutscher Botschafter in Den Haag und Rom, Vertreter Deutschlands bei internationalen Organisationen und sogar eine Zeit lang Inspekteur des Auswärtigen Dienstes, u.a. zuständig für die Ausbildung von Diplomaten. Er schrieb den Fahrplan erst auf, nachdem er pensioniert und möglichen Sanktionen entzogen war; doch der Text wurde veröffentlicht; das ist bemerkenswert. Einige Kernaussagen seien hier ins Gedächtnis zurückgerufen:

"Das künftige Deutschland wird, als ein europäisches Deutschland in Europa wirtschaftlich integriert, politisch domestiziert und militärisch entmachtet sein müssen". "Die Möglichkeit, wirtschaftliche Macht für politische Zwecke auszuspielen, wird es in diesem Europa für Deutschland nicht geben". Von deutschem Boden sollen künftig nicht nur keine Kriege mehr ausgehen "vielmehr sollte von diesem jetzt die Entnationalisierung der europäischen Nationalstaaten ausgehen." "Im eigenen Interesse und dem Europas wird Deutschland unter gesamteuropäischer Kontrolle und Garantie zur militärischen Bedeutungslosigkeit schrumpfen müssen". "Die Initiative für eine solche dreifache Einordnung (eigentlich wohl Unterordnung) in das künftige Europa sollte von Deutschland selbst ausgehen... um vorzubeugen, daß bei einer Lösung, die nur von außen käme, einem eventuellen nationalistischen Versailles-Komplex der Boden bereitet würde". So der Fahrplan einer Regierung, die mit oder ohne Gottes Hilfe schwört, Übel von Deutschland fern zu halten.

Nun wissen Sie auch, weshalb anders als Franzosen, Niederländer und Briten, die Deutschen grundgesetzwidrig keinen Einfluß auf die Ratifizierung der EU-Verfassung nehmen durften. Zwar haben die Medien und die Selbstbezichtigungsübungen anerkannter deutscher Politiker den Boden für diese Politik nachhaltig beackert, aber so Recht wollte man sich auf ihre Wirkung und den steten Medientropfen auch wieder nicht verlassen. Die Zustimmung besorgten Leute, die sich für wenig wirkliche Arbeit, die sie leisten, überdimensionale Gehälter und "Aufwandsentschädigungen" sichern konnten und sich dementsprechend Skrupel abgewöhnt haben. (Die zentnerschweren Papiere, Stellungnahmen und Memoranden, die sie "eigentlich" durcharbeiten sollten, sind kaum mehr als eine Beschäftigungstherapie).

(Hoffnungsvolle) Zweifel an der Mediendurchschlagkraft, wenn es um Wesentliches geht, bekräftigte der Wahlausgang in Frankreich. Auch in Frankreich wurde in einer sonst kaum üblichen Einhelligkeit aller "anerkannten" Medien, Mediensprecher und Namensträger die Werbetrommel "für Europa" gerührt, wurde die Verfassung den unterschiedlichsten Mündern schmackhaft, von allen Problemen frei und in jede Richtung schön und zurechtgeredet. Es half nichts, es blieb beim "Non!". Aber auch sogenannte "Extremisten", die sich dieses Nein als großen Sieg und Zustimmung an den Hut heften wollten, wurden enttäuscht: Bei der vorgesehenen Siegesfeier an der Bastille tauchten statt der erwarteten hunderttausend Siegestrunkenen nur enttäuschende Hunderte auf.

Das Volk will etwas anderes. Das ist, was die "Anerkannten" an der Wahl in Frankreich eigentlich so erschreckt. Die Hammelherde trottet nicht mehr hinter den Pfeifern her. Ihre Tricks und Schaumschlägereien ziehen nicht immer, die Herde drängt von ihnen weg. Mehr gingen zur Urne als bei sonstigen Wahlen und sie stimmten mit Nein. Sie sagten noch nicht, was sie wollen, sondern erst einmal "so nicht".

Beginnt jetzt die große Zeit der Demagogen? Das ist zu befürchten! Plötzlich bilden sich auf der sogenannten "Rechten" religiöse Gruppen mit radikalen etatistischen (Haut rein!), das Establishment kritisierenden (wie schon bei den Grünen zum Schein "gegen die Bankster!") und doch radikal neoliberalen Vorstellungen (Hauptsache ich). Ähnliches (bisher weniger sichtbar) wird von Links zu erwarten sein. Richtungskämpfe sind die Zeit der Demagogen. Man verhindert sie nur, wenn es bei Wahlen um konkrete, ausgearbeitete Programme und Vorgehensstrategien geht, an denen gewählte Vertreter bis in Einzelheiten zu messen sind. Der Wähler wird in Zukunft das Kleingedruckte lesen müssen. Geht es bei politischen Entscheidungen doch um mehr als den überschaubaren Kauf einer Waschmaschine. Die Wahlergebnisse der Abstimmung über die EU-Verfassung in Frankreich wecken die Hoffnung, daß der Wähler diese wenig lustvolle Notwendigkeit zu begreifen beginnt.

Auch die Russen sind gerade dabei, ihre Lektion zu lernen. So schrieb kürzlich der ehemalige Dissident und jetzige Direktor des Moskauer Instituts für Politische Studien und Vorsitzende des Nationalrates für Internationale Angelegenheiten und Berater der Russischen Regierung, Professor Sergei Markow in einem offenen Brief an einen amerikanischen Kollegen nach einem Lob über und Bekenntnis zu den USA als Vorkämpfer der Freiheit im 20. Jahrhundert: "Doch trotz aller Tugenden, als Spieler auf der weltpolitischen Bühne, verhält sich die USA im besten Fall inkonsistent, im übelsten verräterisch". Dieser Feststellung folgt dann eine um so längere, bittere Aufzählung der amerikanischen Betrügereien an Rußland nach seiner antikommunistischen Revolution.

Die Aufzählung hat ihren Wert in sich, doch wir erwähnen Markow nicht deshalb, sondern wegen seiner Einschätzung der Französischen Abstimmung in Interfax am 30. Mai: "Dies ist der erste Sieg in großem Stil der Öffentlichkeit über die Oligarchie der Finanziers und Bürokratie, der ernsthafte politische Folgen für ganz Europa haben wird". Mit der Zustimmung zur EU-Verfassung hätte Europa sich einem "oligarchischen, hyperliberalen Projekt" ausgeliefert. "Zweifellos werden die Ereignisse in Frankreich diese Koalition (für die Interessen der Menschen und ihrer Nationen) stärken, so daß man mit ihr wird rechnen müssen. Die politischen Kräfte in Europa ändern sich". Und das wird, so hofft Markow, auch Auswirkungen auf die russisch europäische Zusammenarbeit haben. Hoffentlich! - aber nicht ohne Ihr Zutun als mündiger Bürger.

Quelle: http://www.spatzseite.de/20050605.htm

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