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Joschka Fischer in einem Interview über das Jahr 1968 und seine Folgen

Archivmeldung vom 29.12.2007

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.12.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Joschka Fischer, Ex-Außenminister, verdankt sein frühes Revoluzzertum Ende der 60er Jahren auch dem Rockpoeten Bob Dylan. "Als ich diesen Bob Dylan das erste Mal gehört habe", sagte Fischer dem Tagesspiegel am Sonntag, "wuchs in mir das Gefühl eines weiten Landes, dieses: Lass alles hinter Dir!"

Die Texte, so Fischer, habe er zwar damals nicht wirklich verstanden, umso mehr aber die Botschaft der Musik. "Das hat etwas in mir zum Klingen gebracht, etwas, das einfach nicht mehr kompatibel war mit Öffingen oder Stuttgart". Fischer räumte ein, dass er seinen Eltern in jener Zeit viel Kummer bereitet habe. Sein Schulabbruch sei zu Hause als "die größte Katastrophe überhaupt" begriffen worden, seine Heirat  im schottischen Gretna Green als "Akt der Rebellion".  Seine Sturm- und Drangzeit, die ihn unter anderem auch ans Fließband zu Opel geführt hat, sieht der frühere Außenminister durchaus kritisch. "Die Vorstellung, dass man unter den Bedingungen des Rechts- und Sozialstaates Bundesrepublik Deutschland eine Revolution machen könnte, die hatte mit der Realität nicht allzu viel zu tun".  Die so genannte 68er Debatte kommentiert Fischer eher ironisch: "Halten wir fest: Die 68er sind schuld an allem, auch, dass die "Bild"-Zeitung so ist, wie sie ist".

Unter anderem sagte Joschka Fischer:

Über die Atmosphäre jeder Zeit in Deutschland: "Wenn Sie damals im Stuttgarter Schlossgarten auch nur den großen Zeh auf den Rasen gesetzt haben, kam innerhalb von Minuten garantiert einer, der Sie angeherrscht hat. "Könned Se net sähe, des isch verbode!" Es herrschte eine Stickigkeit, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Liberalere Eltern standen, wenn sie ihre Kinder mit Freundinnen oder Freunden zu Hause übernachten ließen, mit einem Bein im Gefängnis. Das galt als Kuppelei und war strafbar!"

Über sein Erweckungserlebnis mit der Musik: "Als ich Bob Dylan zum ersten Mal gehört habe, wuchs in mir dieses Gefühl eines weiten Landes, dieses: Lass das alles hinter dir! Ich spürte die ganze Sehnsucht, auch die Tragik in seiner Musik. Die Texte hast du ja damals gar nicht wirklich verstanden, das war viel mehr die Musik. Ich bin zwar kein besonders musikalischer Mensch, das alles aber hat etwas in mir zum Klingen gebracht, etwas, das einfach nicht mehr kompatibel war mit Öffingen oder Stuttgart."

Über sein Erweckungserlebnis mit Herbert Marcuses Büchern: "Das war der Widerstand des Einzelnen gegen eine Staatsgewalt, die gegen ihre eigenen Grundsätze handelte und sich deswegen delegitimierte. Die Kritik der repressiven Toleranz, das hat die entscheidende Rolle gespielt. Sie fragen sich jetzt bestimmt, wie wird ein Junge, der in einem katholischen Heimatvertriebenen-CDU-Milieu aufwächst, zum Linksradikalen? Gute Frage. Eigentlich hätte ich vom Milieu her eher in die Junge Union gepasst. So kam es aber nicht."

Über seinen Versuch, durch Lesen die Welt zu verstehen: "Ja, ich habe damals fleißig angestrichen. Das "Kapital" natürlich oder Kant oder die "Phänomenologie des Geistes" von Hegel. Da würden Sie dann die Anmerkungen und Unterstreichungen eines Lernenden sehen, der verzweifelt versucht hat, einen Text zu durchdringen, der aber für mich nur schwer durchdringbar war. Ich habe 80 Prozent der "Phänomenologie" gelesen und festgestellt: Du hast nichts verstanden. Ich habe mich wirklich durchgequält, und dann habe ich das Buch zugeklappt und vorn angefangen. Es war ein Versuch, die Welt zu verstehen."

Über die drei Nächte, die er 1968 im Gefängnis von Stammheim saß: Warum mussten Sie sitzen? "Wegen ungebührlichen Betragens vor Gericht. Ich bin nicht aufgestanden." Was wurde Ihnen vorgeworfen? "Bei einer Demonstration gegen den südvietnamesischen Botschafter, der zu Besuch in Stuttgart war, haben wir uns, einige wenige Leute, im Hof des neuen Schlosses aus Protest hingesetzt, ohne zu wissen, dass es so was wie eine Bannmeile gab. Wir waren uns wirklich keiner Schuld bewusst, schon gar nicht, damit grundsätzlich die Staatsgewalt angegriffen zu haben. Landfriedensbruch war der Vorwurf." In der linken Szene war es der Ritterschlag, im Knast gesessen zu haben. "Nee, nee." Was war das für eine Erfahrung? "Ja, Gott, Spaß hat es nicht gemacht."

Über die Vorwürfe, die 68er hätten gesellschaftliche Werte zerstört: "Wenn jetzt die Frage anstünde, ob man tatsächlich in die Zeit vor 68 zurückwollte, würde man auch dort mit großer Mehrheit dagegen stimmen. Selbst Kai Diekmann und Peter Hahne würden es in den deutschen Verhältnissen vor 68 nicht mehr aushalten!"

Über die Bemerkung von Otto Schily, Fischer sei eitel: "Da erweise ich mich als gelehriger Schüler meines Meisters Otto."

Quelle: Der Tagesspiegel

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