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Wissenschaftler Dr. Gunnar Brandt über die Osterinseln

Archivmeldung vom 18.04.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 18.04.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Osterinsel
Osterinsel

Foto: Rivi
Lizenz: GFDL
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Das rätselhafte Verlöschen der alten Kultur auf der Osterinsel wird oft als düstere Warnung vor unserer Zukunft angesehen. Die Rapanui hinterließen bis zu zehn Meter große Figuren aus Lavatuff, die Moai. Die Osterinsel ist die einsamste ständig bewohnte Weltgegend. 3700 Kilometer trennen sie vom nächstgelegenen Festland, 2000 Kilometer von der nächsten bewohnten Insel. Die einst von üppigen Palmenwäldern bedeckte Insel ist heute kahl, gilt auch deshalb als Parabel für die Rücksichtslosigkeit des Menschen gegenüber den eigenen Lebensgrundlagen.

Theoretische Ökologen aus Bremen nehmen nun etwas Schuld von den Schultern der Rapanui. Dr. Gunnar Brandt: "Die Rapanui bewirtschafteten ihre Ressourcen immerhin so, dass ein Kollaps ausblieb. Erst die Ankunft der Europäer, die Krankheiten mitbrachten und die Ureinwohner versklavten, löschte die Kultur aus." 2 Der Niedergang der alten Kultur auf der Osterinsel fasziniert seit jeher Historiker und Archäologen. Was fasziniert theoretische Ökologen daran? Dr. Gunnar Brandt: Wie die anderen Disziplinen auch hat meinen Kollegen Prof. Agostino Merico und mich der geheimnisumwitterte Niedergang eines auf einer sehr abgeschiedenen Insel lebenden Volkes fasziniert. Kleine Inseln sind für Ökologen oftmals natürliche Laboratorien, da sie sich im Gegensatz zu größeren Ökosystemen besser abgrenzen und somit einfacher verstehen lassen. Nicht zufällig wurde eine Parabel formuliert, in der die Osterinsel für die Menschheit als Ganzes steht.

Eine Insel, die so abgeschieden im Meer liegt wie die Erde im All...

Dr. Brandt: ...genau, man kann selbst ohne nähere Informationen davon ausgehen, dass es zwischen Erstbesiedlung und Entdeckung durch die Europäer nicht zu regelmäßigen Kontakten mit anderen Völkern gekommen ist. Das heißt, wir können über einen langen Zeitraum den Umgang der Bevölkerung mit ihren Ressourcen beobachten. Ideal für ein Modell, wie wir es entworfen haben.

Seit Jared Diamonds Buch "Kollaps" gilt die Osterinsel als Lehrbeispiel für ökologischen Selbstmord. Liefern Ihre Forschungen jetzt den Freispruch für den Rapanui, der die letzte bis zu 30 Meter hohe Palme der Insel fällte?

Dr. Brandt: Diesen Freispruch haben eigentlich schon Terry Hunt und Carl Lipo versucht zu liefern. Ihre Arbeiten lösten die scharf geführte Kontroverse zwischen den Verfechtern zweier unterschiedlicher Theorien aus. Diamond nahm einen selbstverschuldeten Kollaps, einen Ökozid, an: Die Rapanui hätten die Wälder für Brennholz und Ackerland gerodet, bzw. die Bäume gefällt, um die kolossalen Steinfiguren, die Moai, an ihre Aufstellungsorte an der Küste zu transportieren. Schließlich sollen die meisten Inselbewohner in einem kriegerischen Konflikt zwischen verfeindeten Stämmen um 1680 ums Leben gekommen sein. Hunt und Lipo entdeckten allerdings keine überzeugenden Belege für einen derartigen Kollaps vor Ankunft der Europäer. Sie vertreten dagegen einen Genozid: Die Europäer brachten bei ihrer Entdeckung tödliche Krankheiten aus der alten Welt mit, denen die Immunsysteme der Inselbewohner nichts entgegenzusetzen hatten. Die Überlebenden wurden später versklavt, um auf den Guano-Inseln vor Peru Dünger abzubauen. Uns hat verblüfft, dass zwei Forscherteams trotz identischer Datenbasis derartig gegensätzliche Schlussfolgerungen zogen. Also haben wir uns als theoretische Ökologen der Daten angenommen und ein mathematisches Modell erstellt. Die Fragestellung lautete, ob ein selbstverschuldeter Ökozid vorlag oder ein von außen ausgelöster Genozid.

Sie stützen Ihre Ergebnisse insbesondere auf Radiokarbondatierungen des abgeholzten Palmenwaldes. Danach kam das Ende nicht so schnell wie bisher angenommen?

Dr. Brandt: Zum einen legen aktuelle Daten laut Hunt und Lipo nahe, dass die ersten polynesischen Siedler erst um 1200 die Insel erreichten, nicht bereits um 800 wie von der Mehrheit der Forscher bislang vertreten. In unserem Modell nehmen wir daher diese spätere Ankunftszeit an. Zum anderen weist das zeitliche Muster dieser Daten auf die variierende Abholzungsaktivität der Inselbewohner hin. Wir haben mit dem Modell versucht die von Diamond und Hunt erstaunlich detailliert beschriebenen Bevölkerungsentwicklungen zu reproduzieren und haben dann die vom Modell vorhergesagten Abholzungsverläufe mit den Beobachtungsdaten verglichen. Danach liegt der plausibelste Verlauf ziemlich genau in der Mitte der beiden gegensätzlichen Theorien Ökozid und Genozid. Wir vertreten daher die Annahme, dass es die von Diamond angenommen hohen Bevölkerungszahlen von weit über 10 000 nie gegeben hat. Ausgehend von einer Population von vielleicht 5000 Bewohnern erfolgte ein langsamer Niedergang, vor allem weil die Ressource Holz, die für den Bau von Häusern und Kanus und als Brennholz unersetzlich war, so intensiv genutzt wurde, dass sie immer seltener wurde. Am Ende setzte die Ankunft der Europäer den Schlusspunkt für die bereits durch Ressourcenknappheit geplagten Bewohner. Wer nicht Krankheiten erlag, wurde verschleppt. Für den Bevölkerungsrückgang war, zumindest in unserem Modell also das Zusammenspiel zweier Prozesse ursächlich.

Welche Rolle spielte neben dem Menschen ein Umweltschädling, die Pazifische Ratte, die von den Polynesiern mit eingeschleppt worden war?

Dr. Brandt: Vermutlich wurde sie sogar bewusst als Nahrungsquelle mit auf die Insel gebracht, denn es ist eher unwahrscheinlich, dass sie auf einer wochenlangen Seereise in Kanus unbemerkt geblieben wäre. Diese Nager können die Reproduktionsrate von Palmen deutlich verringern, weil sie sich in erster Linie von Palmnüssen ernähren. In den Augen der Genozid-Verfechter hatte die Ratte daher ganz entscheidenden Anteil an der Verringerung der ökologischen Tragfähigkeit der Insel und damit auch am Niedergang der Inselbewohner. Unser Modell kann leider wenig zur Klärung der kontrovers diskutierten Rolle der Pazifischen Ratte beitragen, insbesondere weil Annahmen über die Reproduktionsrate der ausgestorbenen, bis zu 30 Meter hohen Jubaea-Palme und der genaue Effekt der Nager auf die Reproduktion mit großen Unsicherheiten belegt sind. Klar ist: Als der niederländische Kapitän Jacob Roggeveen um Ostern 1722 die Insel erreichte, war von dem ursprünglich fast die ganze Insel bedeckenden Wald nur noch sehr wenig übrig und unabhängig von dem Einfluss der Pazifischen Ratte können die Palmen nur von den Inselbewohnern gefällt worden sein.

Die Osterinsel ist ein ganz besonderes natürliches Labor mit einer fragilen Ökologie: trocken und isoliert weitab im Meer, der Zufluss von Nährstoffen über die Atmosphäre oder Vulkanasche ist eher gering. War die Osterinsel eine zu brüchige Basis, um einen kulturellen Wettstreit um die Errichtung der Steinskulpturen zu tragen?

Dr. Brandt: Es war mit Sicherheit ein anspruchsvolles, weil nicht allzu produktives Ökosystem. Die Kapazität einer so kleinen Insel eine Bevölkerung zu ernähren, ist mangels Ausweichmöglichkeit beschränkt - zumal, wenn man sich größtenteils auf die Früchte des Bodens verlässt. Nachdem der Wald abgeholzt war, hing die Bevölkerung von der Landwirtschaft ab. Nach Brand-rodungen hat man noch einige gute Ernten, doch irgendwann ist der Boden trotz spezieller Anbautechniken ausgelaugt und auf dieser entlegenen Vulkaninsel erfolgt nur wenig natürlicher Nährstoffeintrag. Es ist in diesem Zusammenhang verwunderlich, dass die Rapanui sich nicht stärker in der Fischerei engagiert haben, aber die archäologischen Indizien legen nahe, dass die Fischerei nur in der Anfangszeit nach der Erstbesiedlung eine größere Rolle gespielt hat.

Das erinnert an die Wikinger auf Grönland, die nicht dem Beispiel der Inuit folgten und Fische sowie Robben fingen, sondern ihren Lebensunterhalt wie in der skandinavischen Heimat als Bauern erbringen wollten.

Dr. Brandt: Wobei es in dem Fall der Osterinsel unklar bleibt, warum sich die Rapanui dazu entschieden. Wie bei vielen Detailfragen über die Osterinsel erschwert das völlige Fehlen schriftlicher Überlieferungen ein besseres Verständnis der vergangenen Ereignisse und der Beweggründe, die zu dem Lebenswandel der Inselbewohner geführt haben. So wirft diese kleine Insel trotz aller Forschungsanstrengungen noch viele Rätsel auf und fasziniert Forscher wie Laien weiterhin.

Experimentalarchäologen haben die bis zu 90 Tonnen schweren Steinstatuen, die über die ganze Insel verteilt sind, mit Seilen in eine Art wiegenden Gang versetzt und so aufrecht gehend bewegt ohne dass dazu Bäume gefällt werden müssten - was ja auch der mündlichen Überlieferung der Rapanui entspräche. Gingen die Bewohner also pfleglicher mit ihren Ressourcen um als angenommen?

Dr. Brandt: Das war ein spannendes Experiment, das eine gewisse Plausibilität erzeugt, aber keinen endgültigen Beweis erbringt. Vielleicht wurde für den Transport der Kolosse dennoch Holz benötigt, aber diese Fragen können besser von Archäologen als von einem theoretischen Ökologen beantwortet werden. Gleichwohl gingen die Rapanui offensichtlich erheblich pfleglicher mit ihren Ressourcen um, als ihnen Diamond attestiert hat. Folglich kam es auch nicht zu dem kurzen, katastrophalen Kollaps.

Taugt die Osterinsel als Metapher für die Zähigkeit menschlicher Gesellschaften, versehen mit der Fähigkeit, sich widrigsten Bedingungen anzupassen?

Dr. Brandt: Auf jeden Fall. Die Osterinsel bleibt auch für uns als Parabel für die Menschheit in einem globalen Ökosystem lehrreich. Die Gesellschaft der Osterinsel, die den Wald abholzte, danach aber über Jahrhunderte von der Landwirtschaft lebte, zeigt die Anpassungsfähigkeit des Menschen. Aber zugleich belegt die Osterinsel auch, dass ein System, das bereits unter Stress steht, bei unvorhergesehenen Ereignissen in die Knie gehen kann. Bei den Rapanui war dies die Ankunft der Europäer, in der heutigen Welt könnten dies sprunghafte Klimaänderungen, Variationen der großen Meeresströmungen oder wie so häufig auch Kriege sein. Zwei Beispiele: Jahrhundertelang wurden viele Fischbestände bis an den Rand der Erschöpfung genutzt; in einer solchen Situation können kleinste Veränderungen in den Randbedingungen eines Ökosystems, seien sie mensch-gemacht oder natürlichen Ursprungs, zu einem unvorhergesehenen und oftmals nicht umkehrbaren Kollaps führen. Heute haben einige Fischereien bereits solche sogenannten Kipppunkte überschritten, mit negativen Konsequenzen nicht nur für den Fischbestand sondern auch für betroffene Gesellschaften. Oder Kalifornien: Die Süßwasserkrise des Sonnenstaates ist seit Jahrzehnten bekannt. Dennoch wurde dort weiterhin wasserintensiver Obstanbau betrieben und intensiv der Rasen im eigenen Garten bewässert, alles mit fossilem Grundwasser, das sich nur sehr langsam erneuert. Nach vier Jahren Dürre scheint das System nun an einen Punkt geraten zu sein, an dem der Zusammenbruch nur noch schwer abzuwenden ist und dramatische ökologische, soziale und wirtschaftliche Konsequenzen drohen. Intensiv genutzte Mensch-Umwelt Systeme sind sehr anfällig für externe Störungen. Und eine Störung kann uns auch jederzeit passieren.

Quelle: Joachim Zießler - Landeszeitung Lüneburg (ots)

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