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Interview mit Marie-Monique Robin

Archivmeldung vom 27.02.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 27.02.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Marie-Monique Robin Bild: arte F
Marie-Monique Robin Bild: arte F

Marie-Monique Robin ist Autorin und Regisseurin des Films "Monsanto, mit Gift und Genen".

Was hat Sie zu dieser umfangreichen Untersuchung veranlasst?

Ich habe drei Dokumentationen über die Artenvielfalt und ihren ärgsten Feind, die Patentierung von Lebewesen oder Teilen derselben, gemacht. Das hat mich früher schon einmal nach Indien und Amerika geführt. (…) Jedes Mal schwebte über allem der Name Monsanto wie ein böser Geist. Ich hatte von den Auswirkungen des Herbizids „Agent Orange“ gehört, das im Vietnamkrieg von der US-Armee eingesetzt wurde; ich wusste auch, dass Monsanto weltweit die Macht über das Saatgut übernehmen möchte und dass über GMO heftig gestritten wird. Ich hatte damals noch keine Meinung zum Thema genmanipulierte Organismen, abgesehen davon, dass ich nicht dazu neige, mich kritiklos auf etwas einzulassen. Für mich als Tochter eines Landwirts bleibt eine Pflanze eine Pflanze, auch wenn sie gentechnisch verändert ist. Aber dieser US-Multikonzern hat mich neugierig gemacht, und ich habe angefangen, im Internet zu recherchieren, wie es in der Dokumentation auch gezeigt wird. Alle Informationen waren in Reichweite, in diesem Fall in siebenmillionenfacher Ausführung, ich brauchte sie nur geduldig zu sammeln und wie ein Puzzle zusammenzusetzen. Denn Monsanto ist eins der umstrittensten Unternehmen der Industriebranche. Meine Recherche ergab viele Überraschungen. Meine größte Entdeckung war, dass die weltweite massenhafte Verbreitung der GMO aufgrund von Manipulation, ja von Intrigen möglich war. Die GMO kamen auf den Markt, ohne dass sie irgendeinem ernstzunehmenden wissenschaftlichen Test unterzogen worden wären. Die Zulassung geschah aus rein politischen Gründen. Das hat der Sprecher der Food and Drug Administration (FDA), James Maryanski, vor laufender Kamera auch zugegeben.

Wie haben Sie angesichts dieser ungeheuren Masse an Informationen ausgewählt?

Das hat 3 Jahre gedauert. Ich musste zuerst die Quellen und dann den Wahrheitsgehalt der über tausend Seiten prüfen, insbesondere all der Dokumente, die im Anschluss an die verschiedenen Monsanto-Prozesse freigegeben und ins Internet gestellt wurden. Ich habe Nächte lang das Internet durchforstet. Dann musste ich geeignete Ansprechpartner finden und sie vor allem zum Reden bringen. Schließlich musste ich den komplexen Stoff leicht verständlich zusammenfassen. Am schwierigsten war es, eine allgemein-verständliche Darstellung zu finden. Ich wollte wirklich etwas für das breite Publikum schaffen, was aber nicht heißt, dass man beim Niveau Abstriche macht. Ich wollte auf einfache Weise auf eine schwierige Problematik aufmerksam machen. Anfangs hatte ich große Vorbehalte, selbst in der Dokumentation zu erscheinen. Aber meine Cutterin, Françoise Boulègue, hat mich dann überzeugt, dass meine Präsenz und mein Kommentar das beste Mittel sind, alle Puzzleteile zusammenzufügen. Im Übrigen weisen wir klar darauf hin – und das tun wir auch zu unserem Schutz -, dass jeder zu all unseren Informationen freien Zugang im Internet hat. Mein Anwalt William Bourdon und ich haben alle erdenklichen Vorkehrungen getroffen, aber ein Unternehmen, dass dazu in der Lage ist, amerikanische und europäische Regulierungsinstanzen zu manipulieren, Journalisten und Forscher zu entlassen, missliebige Unter-suchungen abzubrechen, das kann durchaus über Waffen verfügen, die wir nicht bedacht haben.

Sie wollten Vertreter von Monsanto treffen, die haben sich aber geweigert.

Ja, aber sie haben es sich lange überlegt. Ich selbst wollte nicht den Weg nach Saint-Louis machen, um dann auf irgendeinen Angestellten aus der Presseabteilung zu treffen. Ich habe genau gesagt, wen ich treffen möchte, zum Beispiel den Erfinder des genveränderten Sojas. Da konnten sie sich natürlich denken, dass ich sehr präzise Fragen stellen würde. Schließlich haben sie sich fürs Schweigen entschieden. So lautet die Botschaft, die ich im Film vermittle. Monsanto hat mich wissen lassen, dass auch sie mich im Internet „gegoogelt“ haben. Das Internet bietet tolle Möglichkeiten, aber es fällt auch auf einen selbst zurück. Vor 15 Jahren noch hätte Monsanto nichts über mich gefunden. Heute ist es viel schwieriger sich versteckt zu halten. Dennoch ist Monsanto im Film zu hören. Das ist sogar der zweite rote Faden, der sich durch die Dokumentation zieht. Mein Ausgangspunkt ist ganz einfach: Ich benutze die offizielle Website des Unternehmens, die Dokumente, die es selbst im Internet veröffentlicht hat, und die öffentlichen Stellungnahmen von Vertretern von Monsanto.

Kann man ihnen Glauben schenken?

Das wird von Fall zu Fall geprüft: Was Indien, Mexiko, Paraguay, die USA und Europa betrifft, greift kein einziges Argument. Schon von Anfang an hatte ich das Gefühl, ihnen nicht vertrauen zu können. Ich glaube, es ist mir auch gelungen zu zeigen, dass Monsanto in mehreren Fällen bewusst die Unwahrheit gesagt hat.

Die Aussagen von James Maryanski, von der FDA [Food and Drug Administration], haben entscheidend zur Glaubwürdigkeit ihrer Anschuldigungen beigetragen. Wie haben sie es geschafft, ihn zum Reden zu bringen?

Als er mir am Telefon sagte, dass er zu einem Interview mit mir bereit sei, bin ich vor Freude an die Decke gesprungen! Er hat sicher auch deshalb zugesagt, weil ich mich etwas dumm gestellt und ihn im Glauben gelassen habe, dass ich mich nicht sehr gut auskenne. Denn man muss an so einem komplexen Thema wirklich lange Zeit gearbeitet haben, um Widersprüche aufzeigen zu können. Ich habe ihn schließlich in die Enge getrieben, und er war gezwungen, die Wahrheit zu sagen. Zeitweise glaubte ich sogar, er würde abspringen.

Welches Fazit ziehen Sie aus dieser dreijährigen Arbeit?

Ich bin ziemlich schockiert darüber, welch ungeheuren Einfluss ein multinationales Unternehmen auf demokratische Staaten, und darüber hinaus auf die ganze Welt ausüben kann. Das hätte ich nie gedacht. Während meiner Nachforschungen über Monsanto ist mir bewusst geworden, wie wenig wir einer solchen Macht entgegenzusetzen haben und welche schwerwiegenden Konsequenzen das hat. Die Forschungslabore beispielsweise sind heute stark abhängig von Unternehmen; das ist die unmittelbare Folge der fortschreitenden Privatisierung der Universitäten. Die Wissenschaftler können kaum noch unabhängig Stellung annehmen. Ich bin natürlich auch auf viele Leute gestoßen, die entschlossen gegen solch ein demokratiewidriges Verhalten ankämpfen. Leider gehören im Allgemeinen weder Politiker und schon gar nicht Vertreter der Medien dazu. Ich liebe meinen Beruf und ich bemühe mich sehr darum meine Rolle als Journalistin zu erfüllen, indem ich weiterhin eine Gegenmacht zu bilden versuche. Aber wir alleine können das nicht tun. Investigativer Journalismus wird immer schwieriger, denn er kostet Geld und Zeit, und wegen der Konzentration im Presseund Medienbereich gibt es immer weniger Senderaum.

Wie sollen die Zuschauer an ihren Film herangehen?

Ich hoffe, dass meine Dokumentation eine ernsthafte Debatte über die GMO anregt und dass sie in Frankreich dazu beiträgt, Anbau und Konsum solcher Produkte zu verbieten. Das Problem von genveränderter Saat und Nahrung ist, dass es kein Zurück mehr gibt. Die Verbraucher sollen verstehen, dass sie die Wahl haben: kaufen oder nicht kaufen. Das ist unsere wichtigste Waffe im Kampf gegen die Marktbeherrschung in Sachen GMO und genveränderte Nahrungsmittel. Nach Baumwolle, Soja, Raps und Mais wollte Monsanto eine resistente Weizenart auf den Markt bringen, doch die nordamerikanischen Getreideproduzenten haben sich dagegen gewehrt, denn 80% ihrer Produktion wird nach Europa und Japan exportiert, und die Produzenten fürchteten einen Boykott. Neben der Biotechnologie ist Monsanto auch ein Musterbeispiel für die gegenwärtige Entwicklung des Kapitalismus. Seit dem Ende des 2. Weltkriegs wurden mehr als hunderttausend Moleküle auf den Markt gebracht, die nie je wissenschaftlich getestet wurden. Dieses Wirtschaftsmodell sollte von Grund auf überdacht werden. Mein Ziel ist es, die Menschen dazu zu bringen, sich in das einzumischen, was sie selbst betrifft.

* Les pirates du vivant; Le blé: chronique d’une mort annoncée und Le soja de la faim, koproduziert und ausgestrahlt von ARTE.

Quelle: arte


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